20070308

ANGEWIESENHEIT AUFEINANDER zt-09

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Elias' weitere Kritik am neuzeitlichen Menschenbild.

Die Zivilisationstheorie hilft also, das irreführende Menschenbild der neuzeitlichen Periode aus seiner Selbstverständlichkeit zu erlösen und Abstand von ihm zu gewinnen.

So kann die Arbeit an einem Menschenbild beginnen, das weniger an dem eigenen Fühlen und damit verbundenen Wertungen und in höherem Maße an Menschen als dem Objekt ihres eigenen Denkens und Beobachtens orientiert ist.

Eine Kritik des neuzeitlichen Menschenbildes ist notwendig, um den Prozess der Zivilisation zu verstehen.

Die Vorstellung von den absolut unabhängig voneinander entscheidenden, agierenden und 'existierenden' Einzelwesen, ist ein Kunstprodukt der Menschen, das für eine bestimmte Stufe in der Entwicklung ihrer Selbsterfahrung charakteristisch ist.

Es beruht zum Teil auf einer Verwechslung von Ideal und Tatsache, zum Teil auf einer Verdinglichung der individuellen Selbstkontrollapparaturen und der Absperrung individueller Affektimpulse von der motorischen Apparatur.

Diese Selbsterfahrung der eigenen Vereinzelung, der unsichtbaren Mauer, die das eigene 'Innen' von allen Menschen und Dingen 'draußen' absperrt, gewinnt im Laufe der Neuzeit für eine große Anzahl von Menschen die gleiche unmittelbare Überzeugungskraft, wie im Mittelalter die Überzeugung, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt wäre.

Es ist eine offene Frage, wie weit das Gefühl der Vereinzelung und Entfremdung auf Ungeschick und Unwissenheit bei der Entwicklung individueller Selbstkontrollen zurückgeht.

An die Stelle des Bildes vom Menschen als einer 'geschlossenen Persönlichkeit', tritt dann jenes einer 'offenen Persönlichkeit', die in der Tat von Grund auf Zeit ihres Lebens auf andere Menschen ausgerichtet und angewiesen und von anderen Menschen abhängig ist.

Das Geflecht der Angewiesenheit von Menschen aufeinander, ihre Interdependenzen, sind das, was sie aneinander bindet.

Sie sind das Kernstück dessen, was von Elias als Figuration bezeichnet wird, als Figuration aufeinander ausgerichteter, von einander abhängiger Menschen.

Es ist angemessen, wenn man sich unter einem Menschenbild ein Bild vieler interdependenter Menschen vorstellt, die miteinander Figurationen, also Gruppen oder Gesellschaften verschiedener Art bilden. Der Begriff der Figuration ist von Elias darum eingeführt worden, weil er klarer zum Ausdruck bringt, was wir Gesellschaft nennen.

Nach Elias ist Gesellschaft weder eine Abstraktion von Eigentümlichkeiten gesellschaftslos existierender Individuen, noch ein System oder eine 'Ganzheit' jenseits der Individuen, sondern vielmehr das von Individuen gebildete Interdependenzgeflecht selbst (S. LXVIII).

Der Begriff der Figuration lässt sich veranschaulichen durch einen Hinweis auf gesellschaftliche Tänze. Wir sehen das Bild der beweglichen Figurationen interdependenter Menschen beim Tanz. Figurationen wie Staaten, Städte, Familien, kapitalistische, kommunistische, feudalistische Systeme.

Bei dieser Begriffsbildung verschwindet die Gegensätzlichkeit. Ohne eine Pluralität von aufeinander ausgerichteten, voneinander abhängigen Individuen die miteinander tanzen, gibt es keinen Tanz; wie jede andere gesellschaftliche Figuration ist eine Tanzfiguration relativ unabhängig von den spezifischen Individuen, die sie hier und jetzt bilden, aber nicht von Individuen überhaupt.

Es wäre unsinnig zu sagen, dass Tänze Gedankengebilde sind, die man auf Grund von Beobachtungen an einzelnen, für sich betrachteten Individuen abstrahiert.

Die folgenden Untersuchungen von Norbert Elias beschäftigen sich mit solchen Wandlungen, so wie sich Tanzfiguren wandeln.

So ist der Ausgangspunkt, von dem aus hier der Staatsbildungsprozess von Norbert Elias untersucht wird, eine Figuration, die von vielen relativ kleinen miteinander in freier Konkurrenz stehenden Gesellschaftseinheiten gebildet wird.

Wie und warum wandelt sich diese Figuration? Sie demonstriert zugleich, dass es Erklärungen gibt, die nicht den Charakter einer Kausalerklärung haben.

Denn die Wandlung der Figuration erklärt sich zum Teil aus der endogenen Dynamik der Figuration selbst, aus der immanenten Tendenz einer Figuration frei konkurrierender Einheiten zur Monopolbildung. Persönlichkeitsstrukturen ändern sich ebenfalls im Zuge einer solchen Figurationsänderung (S. LXIX).

Das Verständnis der folgenden Untersuchungen verlangt eine ziemlich weitgehende Umorientierung des heute (diesem Exzerpt liegt eine Ausgabe von 1968 zugrunde. Anm.) vorherrschenden soziologischen Denkens und Vorstellungsvermögens.

Sich von der Vorstellung seiner selbst und des einzelnen Menschen überhaupt als eines 'homo clausus' zu lösen, ist gewiss nicht einfach. Aber ohne Loslösung von dieser Vorstellung ist es einfach nicht möglich, zu verstehen, was gemeint ist, wenn man einen Zivilisationsprozess als eine Wandlung der Individualstrukturen bezeichnet.

Es ist ebenfalls nicht einfach, die eigene Vorstellungskraft so zu entwickeln, dass manfrau in Figurationen zu denken vermag und überdies noch in Figurationen, zu deren normalen Eigentümlichkeiten es gehört, sich zu wandeln, manchmal sogar in einer bestimmten Richtung.

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