VERHALTENSWEISEN & ZIVILISATION zt-10
Tweet this!Im Zentrum der Untersuchungen von Elias (1936) stehen Verhaltensweisen, die manfrau als typisch für die abendländisch zivilisierten Menschen ansieht. In den vergangenen Perioden der abendländischen Geschichte haben wir es nicht mit Gesellschaften zu tun, die in dem gleichen Maße 'zivilisiert' sind, wie die abendländische Gesellschaft von heute.
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Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995-o-o-o-
Wie ging die Veränderung, diese Zivilisation im Abendlande eigentlich vor sich? Worin bestand sie? Und welches waren ihre Antriebe, ihre Ursachen und ihre Motoren? Das sind die Hauptfragen.Im ersten Kapitel des ersten Bandes geht Elias verschiedenen Bedeutungen und Bewertungen nach, mit denen manfrau den Begriff in Deutschland und Frankreich gebraucht. 'Kultur' und 'Zivilisation' werden einander gegenübergestellt.
Im zweiten Kapitel des ersten Bandes soll ein Bild davon gewonnen werden, wie sich Verhalten und Affekthaushalt der abendländischen Menschen vom Mittelalter her langsam wandeln.
Es soll der Weg zum Verständnis der psychischen Prozesse in der Zivilisation offen gelegt werden. Die Veränderungen des psychischen Habitus werden durch eine Prüfung des geschichtlichen Erfahrungsmaterials betrachtet.
Hier sieht manfrau, dass sich allmählich der Standard des menschlichen Verhaltens in einer bestimmten Richtung verschiebt. Langsam wandelt sich die Art, wie derdie Einzelne sich verhält und empfindet.
Erst die geschichtliche Erfahrung macht deutlicher, was dieses Wort (Zivilisation) eigentlich meint. Eine bestimmte und entscheidende Rolle spielt die Änderung des Scham- und Peinlichkeitsempfindens.
Der Standard des gesellschaftlich Geforderten und Verbotenen ändert sich; ihm entsprechend verlagert sich die Schwelle der gesellschaftlich gezüchteten Unlust und Angst.
Im Zusammenhang damit steht ein weiterer Fragenkreis. Die Distanz zwischen dem Verhalten und dem ganzen psychischen Aufbau der Kinder auf der einen und der Erwachsenen auf der anderen Seite vergrößert sich im Laufe des Zivilisationsprozesses.
Warum manche Völker 'kindlicher' sind, ist begründet in Unterschieden der Art und Stufe des Zivilisationsprozesses. Der spezifische Prozess des psychischen Erwachsenwerdens ist nichts anderes, als der individuelle Zivilisationsprozess, dem jeder Heranwachsende in den zivilisierten Gesellschaften als Folge des jahrhundertelangen, gesellschaftlichen Zivilisationsprozesses, mit mehr oder weniger Erfolg unterworfen wird.
Manfrau kann daher die Psychogenese des Erwachsenenhabitus in der zivilisierten Gesellschaft nicht verstehen, wenn manfrau sie unabhängig von der Soziogenese unserer 'Zivilisation' betrachtet.
Im dritten Kapitel, welches den zweiten Band beginnt schildert Elias bestimmte Prozesse dieser großen Geschichte.
Wie und warum sich im Laufe ihrer Geschichte kontinuierlich der Aufbau der abendländischen Gesellschaft verändert. Die Frage soll beantwortet werden, warum sich in denselben Bereichen der Verhaltensstandard und der psychische Habitus der abendländischen Menschen ändert.
Z.B. die gesellschaftliche Landschaft des frühen Mittelalters. Die Frage ist, welche gesellschaftlichen Verflechtungen eigentlich zur Ausbildung dessen drängen, was wir das 'Feudalsystem' nennen; und es wird versucht einige dieser 'Mechanismen der Feudalisierung' zu zeigen.
Wie aus der Burgenlandschaft und aus freien städtischen Handwerker- und Händlersiedlungen sich eine Reihe großer reicher Feudalhöfe herausheben.
Wie sich innerhalb des Kriegerstandes eine Art von Oberschicht heraus bildet, mit Zentren des Minnesangs und der Troubadourlyrik, mit courtoisen (höflichen) Umgangs- und Verhaltensformen. Hier der Zugang zur Soziogenese der courtoisen Verhaltensformen.
Oder manfrau sieht die Frühform dessen was wir Staat nennen, wie es zur Herausbildung absolutistischer Regime kam, wie der Aufbau des 'zivilisierten' Verhaltens aufs engste mit der Organisierung der abendländischen Gesellschaften in der Form von 'Staaten' zusammenhängt.
Wie aus der reichlich dezentralisierten Gesellschaft des frühen Mittelalters, in der viele größere und kleinere Krieger, die wahren Herren der abendländischen Gebiete sind, eine jener im Inneren mehr oder weniger befriedete, nach außen gerüstete Gesellschaft wird, die wir Staat nennen.
Welche gesellschaftlichen Verflechtungen drängen hier zur Integrierung immer größerer Gebiete unter einer relativ stabilen und zentralisierten Herrschaftsapparatur?
Geschichtliche Erscheinungen sind geworden. Wie könnten sich Denkformen als einfach und als zureichend zu deren Aufschluß erweisen, die alle diese Erscheinungen durch eine Art von künstlicher Abstraktion aus ihrem natürlichen, geschichtlichen Fluß herauslösen, die ihnen ihren Bewegungs- und Prozesscharakter nehmen und sie wie statische Gebilde unabhängig von dem Wege zu fassen suchen?
Die Erfahrung drängt uns dahin, nach Denkmitteln zu suchen, die unser Bewußtsein zwischen der Scylla (Statismus- alles Bewegte wird als Bewegungsloses und Ungewordenes ausgedrückt) und der Charybdis (historischer Relativismus- sieht einen beständigen Wechsel ohne zu der Ordnung dieses Wechsels und dessen Formungsgesetzlichkeit vorzudringen) ausdrücken.
Die soziogenetische und psychogenetische Untersuchung zielt darauf hin, die Ordnung der geschichtlichen Veränderungen, ihre Mechanik und ihre konkreten Mechanismen aufzudecken (S. LXXVII).
Hier bei Elias wird nach der Soziogenese des Staates gefragt und z.B. das Problem des Gewaltmonopols behandelt.
Gewaltausübung war ein Privileg einer Fülle von frei rivalisierenden Kriegern, das allmählich zu Zentralisierung und Monopolisierung der körperlichen Gewaltausübung und ihrer Instrumente hindrängte.
Die Monopolisierung der körperlichen Gewalttat verstanden als eine Art von Knotenpunkt für eine Fülle von gesellschaftlichen Verflechtungen. Diese ändern die ganze Prägungsapparatur des Individuums, die Wirkungsweise der gesellschaftlichen Forderungen und Verbote, die den sozialen Habitus in dem Einzelnen herausmodellieren, und vor allem auch die Ängste, welche im Leben des Individuums eine Rolle spielen (S. LXXVIII).
Die Zusammenfassung im zweiten Band von Elias' 'Prozess der Zivilisation' nämlich der Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation unterstreicht noch einmal diese Zusammenhänge zwischen den Wandlungen im Aufbau der Gesellschaft und den Wandlungen des Verhaltens und des psychischen Habitus.
Hier findet manfrau einen Abriss über die Struktur der Scham- und Peinlichkeitsängste, und versteht weshalb gerade Ängste dieser Art beim Fortschreiten des Zivilisationsprozesses eine besondere Rolle spielen.
Es fällt Licht auf die Bildung des 'Über-Ich', auf das Verhältnis der bewussten und der unbewussten Regungen im Seelenhaushalt des 'zivilisierten' Menschen.
Hier findet manfrau dann auch die Antwort auf die Frage, wie manfrau es verstehen kann, dass alle diese Prozesse aus nichts bestehen, als aus Aktionen einzelner Menschen, und dass dennoch in ihnen Institutionen und Formationen entstehen, die so, wie sie tatsächlich werden, von keinem einzelnen Individuum beabsichtigt oder geplant waren (S. LXXIX).
Vielen Fragen wurde von Elias nicht nachgegangen. Elias wollte keine Theorie 'in die Luft bauen' und erst nachträglich prüfen, ob sie mit der Erfahrung übereinstimmt, sondern es ging ihm darum für einen gewissen Bereich, die verlorene Anschauung von einem Prozess zurückzugewinnen, dann ein gewisses Verständnis für dessen Ursachen zu suchen und am Ende einzusammeln, was sich auf diesem Wege an theoretischen Einsichten ergab.
Es sollte ein Fundament für die Weiterarbeit geschaffen werden.
Die Fragestellung, was es mit der Zivilisation auf sich hat entspringt aus der Erfahrung. Sie wurde nicht von der Meinung geleitet, dass unsere Zivilisation die beste sei oder dass sie überlegen sei. Es lässt sich aber ersehen, dass mit der allmählichen Zivilisation auch Zivilisationsnöte auftreten.
Es geht Elias vor allem um das Wesen geschichtlicher Prozesse, einer Entwicklungsmechanik der Geschichte und ihr Zusammenhang mit seelischen Prozessen.
Wichtige Begriffe hier sind: Sozio- und Psychogenese, Affekthaushalt und Triebmodellierung, Fremdzwänge und Selbstzwänge, Peinlichkeitsschwelle, gesellschaftliche Stärke, Monopolmechanismus.
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