KORPORATISMUS sk-14
Tweet this!Hier geht es jetzt weiter mit der Politik in der industriellen Gesellschaft. Es geht um den Prozess, durch den die Themen und die sozialen Konfigurationen des Konflikts in politisches Handeln umgesetzt werden. Es geht auch weiterhin um die moderne Geschichte des Bürgerstatus und der Bürgergesellschaft.
Strukturen sozialer Klassen gelangen auf dem Weg über die Politik in des Leben normaler Menschen. Diese haben feines Gespür für Unrechte und Vorrechte und handeln aus Interessenlagen ob es Parteien gibt oder nicht.
Soziale Kräfte werden in politischen Auseinandersetzungen sichtbar. Klassenzugehörigkeit ist nie die einzige Grundlage politischer Interessen.
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch
Exzerpt: transitenator
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Dahrendorf zieht einen ersten Schluss: Die Entwicklung neuer Anrechte erfolgt(e) sprunghaft. Sie war kein Prozess des allmählichen Zuwachses, sondern ging oft in großen Stufen vor sich.
Anrechtsveränderungen sind mit erinnernswerten Ereignissen verbunden. Beispiele: Ausweitung des Wahlrechtes, Wahlalter, Schulpflicht, Wohlfahrtsstaat, Mindestlohn (Tarifvertrag, -abkommen).
Die wichtigsten Schritte auf dem Weg zum erfüllten Bürgerstatus sind klar identifizierbar. Oft bezeichnen sie gefeierte Daten des konstitutionellen, politischen oder sozialen Wandels.
Zweiter Schluss Dahrendorfs: Es handelt sich wirklich um Fortschritt, also um Verbesserungen. Rückschritte seien eher außergewöhnlich wie z.B. Aufhebung der Bürgerrechte durch Naziregime.
Im allgemeinen sind Bürgerrechte "klebrig" (Keynes Reallöhne widersetzen sich dem Druck nach Senkung) D.h. wenn der Bürgerstatus erst einen bestimmten Punkt erreicht hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er nicht wieder zurückfällt (nur bei Bruch der politischen Kontinuität).
Die Geschichte der Anrechte unterscheidet sich von der Geschichte des Angebotes.
Die Wirtschaftsentwicklung als kontinuierliche Kurve unterliegt konjunkturellen Schwankungen. Kein einfacher Parallelismus zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Ausweitung von Anrechten.
Entscheidende Fortschritte der Bürgerrechte wurden erzielt, als die wirtschaftlichen Aussichten unklar waren (z.B. 1918/19, zw. 1944 u. 1950).
Die Angebotspartei argumentiert gerne, dass es ohne Wachstum keine strukturellen Veränderungen geben kann. (Kurioserweise sind sich Marxisten und Ideologen des Kapitalismus im Primat der Wirtschaft über Politik einig).
Aber: die Beziehungen zwischen Wachstum und Wandel sind komplizierter wenn überhaupt systematisch.
Frage: Was hat den Fortschritt der Bürgerrechte bewegt, wenn nicht ein wachsendes Angebot für mehr Menschen? Warum führen Kriege zu Verbesserungen? (z.B. 1918/19, zw. 1944 u. 1950).
Keith Middlemas (Politik in der industriellen Gesellschaft) nennt zwei Gründe, aus denen die Kriegspolitik zu Reformen führt:
1. Kriege verlangen die totale Beteiligung der Bevölkerung und das führt bei der Führung zu der Überzeugung, dass man etwas für die Menschen tun muss, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben (Winston Churchill: die Menschen müssen Bürgerrechte bekommen).
Auch Max Weber: aus Schamgefühl und Anstandspflicht sollte man den heimkehrenden Soldaten nicht die Rechte der zu Hause verbliebenen Kriegsgewinnler verweigern.
2. Das zentrale Thema von Middlemas: Der 'Sozialpakt des Krieges' setzt die Organisation und Koordinierung der Hauptbeteiligten am wirtschaftlichen Entscheidungsprozess voraus. Interesse an starken Gewerkschaften und Bildung von Arbeitgeberverbänden.
Das Bündnis zwischen den drei Hauptakteuren, also Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen, brachte dann jenen 'Hang zum Korporatismus' hervor, der sich aber nur aufrecht erhalten lässt, wenn alle Beteiligten ihre Interessen zumindest teilweise durchsetzen können. Das bedeutete in erster Linie die Anerkennung der Interessen der bisher Benachteiligten und ihrer Organisationen.
Was ergibt sich aus einer Gegenüberstellung von Klassentheorie und geschichtlicher Wirklichkeit? Was sind die offenkundigen Beziehungen zwischen Klassenkonflikten und sozialem Wandel?
Führer reagieren auf sozialen Druck (auch Bismarck musste). Zwischem diesen und der aktiven Veränderung der Dinge sind Brücken aus unerwartetem Material.
Soziale Konflikte sind unzweifelhaft wirklich. Interessen werden vertreten, stoßen aufeinander, Versammlungen, Demonstrationen, Argumentationen. Am Ende gibt etwas nach.
Nicht weil alles in Flammen steht oder weil Machtlose mysteriöse Mehrheiten im Parlament gewinnen. Die Mehrheit bleibt 'in den Korridoren der Macht' unsichtbar und dennoch verändert sich die Position derer, die sich gegen den Wandel gewehrt haben.
Sie verändert sich widerwillig, zum Teil aus dem Wunsch, einen lästig gewordenen Druck loszuwerden, zum Teil in der Hoffnung, die Protestenergie auf die Mühlen des eigenen Vorteils umzuleiten (S. 86).
Es gibt also mehrere Ingredenzien des politischen Wandels. Eines ist die Kraft, mehr oder minder organisierter sozialer Bewegungen (können Parteien sein, müssen aber nicht).
Ein anderes ist die veränderungsreife Situation in der es eine Art von verborgenem, latenten Konsens gibt.
Zunächst sieht es so aus, als ob manche gegen den Strom schwimmen; tatsächlich haben sie nur früher als andere erkannt, dass der Strom sich wendet. Wenn es geschehen ist, dann wissen wir auf einmal, dass die 'Verräter' ihr Land geeint und nicht geteilt haben.
Das eherne Gesetz der Oligarchie (Robert Michels): "Jeder der Macht sucht, zahlt dafür einen Preis an Demokratie".
Dilemma und Gefahr für politisch wirkende: Entweder zu weit entfernt vom Sitz der Entscheidungen oder von ihm vereinnahmt.
Sozialisten erlebten beides. Führer sozialer Bewegungen veränderten Weltbilder. Mobilisierte Menschen waren aber an Entscheidungen nicht beteiligt. Wiederum andere hielten hohe Staatsämter aber waren schwerlich Reformer.
Dahrendorf stellt die Frage ob nicht am Ende aufgeklärte Konservative und entschiedene Liberale wirksamere Beweger und Veränderer sind.
1 Kommentare:
Europa ist ein neo-korporatistische System, das sich zeichnet bei der Schaffung von sozialen Ängsten (Zitat von Jan Theuninck, September 2009)
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