20070429

Deutschland Wirtschaftswachstum ohne bürgerliche Anrechte sk-19

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Lange Zeit fehlte in Deutschland das was Dahrendorf als das demokratische Minimum bezeichnet hat. Es gab weder effektive Kontrolle durch gewählte Politiker noch die regelmäßige Eingabe der Meinungen und Interessen der vielen.

Menschen suchten andere Ausdrucksmöglichkeiten, zuerst außer parlamentarisch dann antiparlamentarisch. Die Verfassung wurde immer wieder zum Thema der Auseinandersetzungen statt zur selbstverständlichen Grundlage des Handelns.

Die Führung oft unfähig überlegten Wandel hervorzubringen gleicht sich an Beamte an.

Die Regierungsmaschine läuft langsamer. Dann dramatische Veränderungen und idiosynkratische Führer die Bewegung bringen.

Lehren aus der deutschen Erfahrung?
Es geht um die Folgen von wirtschaftlichem Wachstum ohne bürgerliche Anrechte. Thorstein Veblen (Das kaiserliche Deutschland und die industrielle Revolution, 1915) beschrieb dieses Dilemma. Die Quellen seiner Einsicht sind eher intuitiv aber nichtsdestoweniger Einsichten.
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Laut Veblen verband Deutschland eine fast ungebrochene mittelalterliche institutionelle Ordnung und einen Staat der dynastischen Organisation samt dazugehörigen Werten mit einer sehr raschen übernommenen Industrialisierung.

In Deutschland versuchte die herrschende Klasse mit weithin feudalen Voraussetzungen die Industrialisierung zu ihrer Sache zu machen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn eine industrielle Klasse gewisse quasi-feudale Werte annimmt und sie nach ihrem eigenen Bilde um prägt.

Deutschland lieferte das erste wichtige Beispiel der Industrialisierung von oben, der autoritären Industrialisierung. Deren Antriebskraft war der Feudalherr (nicht der auf Bürgerrechten beruhende freie Arbeitsvertrag, nicht der auf dem Markt wirkende innovative Unternehmer) und der Gehorsam seiner Untertanen.

Viele zeitgenössische Diktatoren (Lateinamerika, Asien) ahmen dieses deutsche Modell der Erhaltung einer alten herrschenden Klasse und ihrer Werte durch den Prozess des modernen Wirtschaftswachstums nach.

Aber selbst wo es gelingt, die Wirtschaft anzukurbeln, wird dafür in aller Regel der Preis instabiler politischer Verhältnisse bezahlt. Bismarck wollte ein Wohlfahrtsangebot an die Stelle von Bürgerrechten setzen. Das ist misslungen. Der Bürgerstatus erwies sich als die stärkere Kraft. Durch Wohlfahrtspatriarchalismus ließ sich der Klassenkampf auf Dauer nicht niederhalten.

In furchtbarer Weise war Hitlers Nationalsozialismus nötig, um die Revolution der Modernität für Deutschland zu vollenden. (Für diese These wurde Dahrendorf oft kritisiert doch hält er an ihr fest).

Alle vormodernen Überbleibsel der ständischen und kirchlichen Zugehörigkeit, des autoritären Wohlwollens ohne bürgerliche Teilnahme, der Unbeweglichkeit und des Traditionalismus wurden brutal zerstört von einem Regime, das zur Erhaltung seiner totalitären Macht die totale Mobilmachung brauchte. Die Wirkungen dieses großen Prozesses der Demontage von Tradition wurden nicht sofort sichtbar. Er war unfassbar kurz und schrecklich.

Nach 1945 hatte Deutschland zum ersten Mal die echte Chance der Demokratie.

Vielleicht waren die deutschen Wirtschaftswunder vor 1913 und auch nach 1948 nicht eigentlich Beispiele für kapitalistisches Wachstum. In beiden Fällen waren die Träger des wirtschaftlichen Wachstums mächtige bürokratisierte Organisationen, die Banken, von Anfang an große Unternehmen und der Staat.

Unternehmer und Politiker fehlten auffällig und ebenso fehlte der demokratische Nachschub. Viele Jahrzehnte lang zögerten die Herrschenden in Deutschland dem Volk die Anrechte zu gewähren, die eine moderne Bürgergesellschaft verlangt. Das Risiko des Weberschen Gehäuses der Hörigkeit scheint in Deutschland größer als anderswo. Eine Dosis Klassenkampf hätte nicht geschadet (Dahrendorf, S. 110).
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Frankreich
Hin- und her gerissen zwischen kräftigen Forderungen nach mehr Demokratie und einem alten Hang zur Autorität.
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Schweiz
Gewisse Anonymität der herrschenden Klasse. Stabilität.
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Die Moral dieser Geschichten?:
Freie, offene Gemeinwesen brauchen dreierlei,

die politische Demokratie,

die Marktwirtschaft

und die Bürgergesellschaft.

Drei Säulen der Freiheit.

Dahrendorf meint, dass die Bürgergesellschaft vielleicht den verlässlichsten Anker der Freiheit darstellt, während die Demokratie ihr den sichtbarsten Ausdruck verschafft. Demokratie bleibt ein schillernder Begriff. Manche ziehen es vor von der 'Verfassung der Freiheit' zu sprechen.

Es muss Regeln geben, nach denen die Auseinandersetzungen von streitenden Gruppen und divergierenden Interessen sich vollzieht (Rechtsstaat, Verfassung);
es muss Methoden geben, um die Vorlieben, aber auch die tieferen Bedürfnisse der Regierten in die effektive Kontrolle der Regierenden umzusetzen (das demokratische Minimum);
und es muss Zentren, aber auch Träger der Initiative geben, die bereit sind, neue Lösungen zu erkunden (Führerschaft).

Nichts ist gefährlicher für die Verfassung der Freiheit als das Dogma, und dieses kann durch willkürliche Macht,aber auch durch bürokratische Stagnation entstehen. Das war schon vorher klar.

Was zeigten die Beispiele?

Wie das Nötige getan wird, hängt ganz von spezifischen Bedingungen und Traditionen ab.
Es gibt keinen Königsweg zur Verfassung der Freiheit.


Die Verfassungswirklichkeit muss immer der Geschichte, Kultur und anderen einzigartigen Bedingungen bestimmter Gesellschaften Rechnung tragen. Die wirklich existierende Freiheit ist immer etwas unordentlich.

Hauptsächliche Schlussfolgerung Dahrendorfs ist hier das Lob gut gemischter Verfassungen (S. 112).

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