Gutes Benehmen im Mittelalter zt-22
Tweet this!Der mittelalterliche Standard war ganz gewiss kein 'Anfang' oder eine 'unterste Stufe' des Prozesses der 'Zivilisation'. Es war ein anderer Standard als unserer. Und uns interessiert der kleine Weg vom Standard des Mittelalters zum Standard der frühen Neuzeit und zu verstehen, was da eigentlich mit dem Menschen vorging.
Der Standard des guten Benehmens im Mittelalter ist durch den Begriff 'courteoisie' repräsentiert. Dieser Inbegriff des Selbstbewusstseins hieß im englischen courtesy, im italienischen cortezia, im deutschen hövescheit, hübescheit, zuht.
Alle diese Begriffe weisen auf einen bestimmten sozialen Ort hin. Sie sagen: Das ist die Art, wie manfrau sich an den Höfen benimmt. Durch sie bezeichnen zunächst bestimmte Spitzengruppen der weltlichen Oberschicht, nicht etwa der Ritterschaft als Ganzes, sondern in erster Linie die ritterlich-höfischen Kreise um die großen Feudalherren, das, was sie für ihr Gefühl unterscheidet.
Wie sieht dieser Standard aus? Was zeigt sich als typisches Verhalten, als durchgehender Charakter der Vorschriften? Eine Einfalt, eine Naivität. Affekte spielen jäher und unmittelbarer. Wenige psychologische Nuancierungen. Wenig Komplizierungen im Gedankengut. Es gibt Freund-Feind, Lust-Unlust, gute-böse Menschen (S. 79). Triebe und Neigungen sind weniger verhalten als später. Hübsche Leute sind die edlen, die höfischen Leute. Das edle, das 'hoveliche' Benehmen wird immer wieder den 'geburischen siten', dem Verhalten der Bauern gegenübergestellt.
Elementare Vorschriften werden hier zu Erwachsenen gesagt. Merkverse über Sitten und Unsitten sind Zeugnisse für einen bestimmten Standard der Beziehungen von Mensch und Mensch, um Zeugnisse für den Aufbau der mittelalterlichen Gesellschaft und der mittelalterlichen Seelen. Die Verwandtschaft, die zwischen ihnen besteht, ist eine soziogenetische und psychogenetische Verwandtschaft; in den verschieden sprachigen Verhaltensvorschriften. Die Unterschiede treten an Bedeutung gegenüber den Gemeinsamkeiten zurück.
Auch die Bilder von Tafelnden sind Zeugnisse. Wenig Tafelgeschirr. Man bedient sich aus den gemeinsamen Schüsseln. Der Standard der Esstechnik während des Mittelalters entspricht einem ganz bestimmten Standard der menschlichen Beziehungen und der Affektgestaltung (S. 85).
Es ist nicht Armut an Geräten, der diesen Standard aufrecht erhält, sondern manfrau hat ganz einfach nicht das Bedürfnis nach etwas anderem. So zu essen ist selbstverständlich. Es entspricht diesen Menschen. (Ohne Gabel, gemeinsamen Schüsseln, Gläser, Löffel, Messer, Quadra). Am Ausgang des Mittelalters taucht die Gabel als Instrument zum herüber nehmen der Speisen aus der gemeinsamen Schüssel auf.
Die Verhaltensformen beim Essen sind nichts Isolierbares. Sie sind ein charakteristischer Ausschnitt aus dem Ganzen der gesellschaftlich gezüchteten Verhaltensformen. Ihr Standard entspricht einer ganz bestimmten Gesellschaftsstruktur. Welche Struktur ist das?
Das bleibt zu prüfen. Diese Verhaltensformen der mittelalterlichen Menschen waren nicht weniger fest mit ihren gesamten Lebensformen, mit dem Aufbau ihres Daseins verknüpft, als unsere Art des Verhaltens mit unserer Lebensweise und dem Aufbau unserer Gesellschaft (S. 87). Diese Gebräuche sind etwas, das dem Bedürfnis der Menschen entsprach, und das ihnen genau in dieser Form als sinnvoll und notwendig erschien.
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