20070426

Zivilisation, Sex, Ehe, Emanzipation, zt-36

I'm reading: Zivilisation, Sex, Ehe, Emanzipation, zt-36Tweet this!

Wandlungen in der Einstellung zu den Beziehungen von Mann und Frau

Das Schamempfinden, das die sexuellen Beziehungen der Menschen umgibt, hat sich im Prozess der Zivilisation beträchtlich verändert und verstärkt.

Das zeigt sich bei Schwierigkeiten im Gespräch mit Kindern über Sex. Die 'Colloqien' des Erasmus waren berühmte und weitverbreitete Schriften seiner Zeit (1522).

Die katholische Kirche bekämpfte sie, aber eine Gegenschrift unterscheidet sich nicht in ihrer Unbefangenheit des Sprechens über sexuelle Angelegenheiten.

Die Humanisten schreiben vom Standard der weltlichen Gesellschaft, die Kleriker vom Standpunkt der Klerikergesellschaft.
Die Humanisten lösten die lateinische Sprache aus der kirchlichen Tradition und machten sie zu einer Sprache der weltlichen Oberschicht.

Das Bedürfnis, nach einem weltlichen gelehrten Schrifttum wird stärker.

Was Erasmus sagt, hätte im 19. Jahrhundert niemand, unter keinen Umständen, zu seinem Patenkind gesagt.

Die Gespräche des Erasmus von Rotterdam zeigen gleichzeitig den Stand des Mittelalters, bilden aber gleichzeitig einen Schub in Richtung Triebzurückhaltung, die dann das 19. Jahrhundert vor allem in Form der Moral rechtfertigt.

Die Humanisten (auch Erasmus) sind die Exekutoren dieses Bedürfnisses nach weltlichem Schrifttum der weltlichen Oberschicht.
In ihren Schriften nähert sich das Geschriebene wieder dem weltlich gesellschaftlichen Leben; die Erfahrungen des Lebens finden in das Schrifttum Eingang.

Auch das ist eine Linie in der großen Bewegung der Zivilisation. Hier wird manfrau einen Schlüssel für das 'Wiederaufleben' der Antike suchen müssen (S. 235).
-o-o-o
Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995 Exzerpt: transitenator.
-o-o-o
Erasmus: "Socrates Philosophiam e coelo deduxit in terras: ego Philosophiam etiam in lusus, confabulationes et compotationes deduxi" (Wie Sokrates die Philosophie vom Himmel auf die Erde gezogen hat, so habe ich die Philosophie auch zu Spiel und Gelage hingeleitet).

Was dem Betrachter des 19. Jahrhunderts als 'gemeinste Darstellung der Wollust' erscheint, ist für Erasmus und seine Zeitgenossen ein Mustergespräch und Wunschbild.

Das 16. Jahrhundert wusste nicht viel von Prüderie und legte den Schülern in ihren Übungsbüchern Sätzen vor, für die sich heutige Pädagogen bedanken würden (S. 238).

Aber Erasmus hat den pädagogischen Zweck nie aus den Augen verloren.

Erst später entwickelt sich die Tendenz, dass Kinder sich wie Kinder benehmen sollten und dass Triebäußerungen von ihnen fern gehalten werden sollen ('schädlich für das Wachstum').

Erst im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Veränderung können wir die ganze Problematik des 'Erwachsenenseins', wie es sich heute darstellt unserem Verständnis zugänglicher machen.

Heute (Anm.: 1936, bitte siehe Quelle) existiert eine Schamangst mit der der sexuelle Bezirk des Triebhaushalts belegt ist, mit dem Bann des Schweigens, so gut wie vollkommen.
Der Hinweis auf sie im Verkehr mit Kindern ist ein Verbrechen, eine Beschmutzung der Kinderseele, zumindest ein Konditionierungsfehler.
-o-o-o
Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995 Exzerpt: transitenator.
-o-o-o
Zu Erasmus' Zeit wussten die Kinder von den verschiedenen Institutionen. Allenfalls warnte manfrau sie davor. Das tut Erasmus.
Die Mauer der Heimlichkeit, der Erwachsenen selbst, war gering.
Kinder wussten über sexuelle Angelegenheiten Bescheid, der Erzieher sollte richtiges Verhalten zeigen.

1438 wurden Dirnen (Hübscherinnen, die schönen Frauen, gemain Frawen) hohen Gästen zur Begrüßung entgegengeschickt. Die hohen Gäste werden im Frauenhaus frei gehalten.
Das gehörte, wie etwa das Gastmahl zur Bewirtung, die man hohen Gästen bot.
Die Hübscherinnen bildeten eine Korporation mit bestimmten Pflichten und Rechten. Ihre soziale Stellung war niedrig und verachtet, aber durchaus öffentlich und nicht mit Heimlickeit umgeben.

Diese Form der außer ehelichen Beziehung zwischen Mann und Frau, war noch nicht 'hinter die Kulissen' verlegt.

Ein Blick auf die Hochzeitsgebräuche: 'Ist das Bett beschritten, ist das Recht erstritten'. So hieß es im späteren Mittelalter.
Ein anderer Standard des Schamgefühls, als der, der dann im 19. u. 20. Jahrhundert herrschend wird, wo alles was das sexuelle Leben betrifft, in relativ hohem Maße verdeckt und hinter die Kulissen verwiesen wird.

Vorher war die Beziehung der Geschlechter noch in das öffentliche Leben eingebaut und selbstverständlicher, dass auch die Kinder damit vertraut waren.

In der höfisch-aristokratischen Gesellschaft, war das sexuelle Leben schon erheblich verdeckter, als in der mittelalterlichen, dennoch ist die Verdeckung der Sexualität gering und eine größere Unbefangenheit des Sprechens und auch des Handeln im Verkehr mit den Kindern.

Erst allmählich breitet sich dann eine stärkere Scham- und Peinlichkeitsbelastung der Geschlechtlichkeit und Zurückhaltung des Verhaltens über die Gesellschaft hin aus.
Und erst dann, wenn die Distanz zwischen Erwachsenen und Kindern wächst, wird das, was wir die 'sexuelle Aufklärung' nennen, zu einem brennenden Problem (S. 245).

1875 hat Raumer eine Schrift über die Erziehung der Mädchen herausgegeben. Er schreibt ein Modellverhalten von Erwachsenen bei der Begegnung mit der sexuellen Frage vor. Er produziert eine lächerliche Gottesvorstellung. (siehe S. 246).

Zwischen der Art von sexuellen Beziehungen, wie sie Erasmus präsentiert und der von Raumer zeichnet sich eine Zivilisationskurve wie bei den anderen Triebäußerungen aufgezeigt.

Die Sexualität wird im Prozess der Zivilisation mehr und mehr hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens in die Enklave der Kleinfamilie eingeklammert, mit einer Aura der Peinlichkeit und Ausdruck der soziogenen Angst.

Raumer gibt keine Begründung, warum manfrau nicht über Sex mit Kindern sprechen soll. In dieser Zeit (19. Jahrhundert) wächst die Überflutung mit Scham- und Peinlichkeitsgefühlen.

So selbstverständlich es zu Erasmus' Zeiten war von Sex zu sprechen, so selbstverständlich ist es im 19. Jh. davon nicht zu sprechen. Beide berufen sich auf Gott.

Es sind nicht rationale Motive die hinter Raumers Modellgebung stehen. Im Vordergrund steht die Notwendigkeit, Scheu vor diesen Dingen, nämlich Scham-, Angst-, Peinlichkeits- und Schuldgefühle zu züchten, oder genauer gesagt, ein Verhalten, das dem gesellschaftlichen Standard gemäß ist.
Es handelt sich nicht um ein individuelles, sondern um ein gesellschaftliches Problem. Die sexuelle Region ist zu einer heimlichen geworden.

Nicht rationale Motive, nicht Zweckmäßigkeitsgründe sind primär für diese Haltung bestimmend, sondern die zum Selbstzwang gewordene Scham des Erwachsenen selbst.

Es sind die gesellschaftlichen Verbote und Widerstände in ihrem Inneren, es ist ihr eigenes 'Über-Ich', das ihnen den Mund schließt (S. 248).

Erasmus hat noch kein Problem aufzuklären. Die Zurückhaltung der Erwachsenen ist noch nicht so groß und damit auch die Mauer der Heimlichkeit zwischen den Kulissen.
Und auch die 'Mauer' um den Heranwachsenden welcher die Schwierigkeit hat, auf den gleichen Standard der Erwachsenen zu kommen, das Sprechen darüber aber schwierig gemacht wird.

Die soziogenen Verdrängungen leisten dem Sprechen Widerstand.

Die psychische Problematik des jungen Menschen, ist nicht ein für alle Zeiten gleicher Ablauf, sondern gestaltet sich nach den Beziehungen zwischen Kind und Erwachsenen.

Diese Beziehungen wandeln sich aber je nach Aufbau einer Gesellschaft. Verstehen kann manfrau also diese Problematik nur aus der geschichtlichen Phase, aus dem Aufbau der ganzen Gesellschaft, der den Standard des Erwachsenen-Verhaltens aufrecht erhält.

Die Kirche hat sicherlich frühzeitig für die Einehe gekämpft, aber bis ins 16. Jahrhundert braucht manfrau sich außer ehelicher Beziehungen nicht zu schämen. Die 'Bastardkinder' werden mit der Familie erzogen.

Erst in der berufsbürgerlichen Gesellschaft Tendenz zur Verheimlichung.

Die kirchliche Forderung ist nicht Maßstab für den wirklichen Standard der weltlichen Gesellschaft. Im 17. u. 18. Jahrhundert wird die Herrschaft des Mannes über die Frau ziemlich gebrochen.

Die soziale Stärke der Frau ist hier annähernd gleich groß. Die gesellschaftliche Meinung wird in sehr hohem Maß von Frauen mitbestimmt.

Auch die außer eheliche Beziehung der Frau gilt in gewissen Grenzen als legitim.

Also eine erste 'Emanzipation' der Frau in der höfisch-absolutistischen Gesellschaft. (S. 252).

Also ein Zurücktreten von Triebrestriktionen für die Frauen und ein Vorrücken der Triebrestriktionen für die Männer; sie bedeutete für beide den Zwang zu einer neuen und stärkeren Selbstdisziplinierung der Affekte im Verkehr miteinander.

"Ich lasse dir deine Freiheit", sagt einer zu seiner Frau, "aber ich weiß, ich setze dir damit engere Schranken, als mit irgendwelchen Geboten oder Vorschriften". Er erwartet mit anderen Worten nun auch von ihr die gleiche Selbstbeschränkung, die gleiche Selbstdisziplin, die er sich auferlegt(S. 253).
-o-o-o
Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995 Exzerpt: transitenator.
-o-o-o
In der höfischen Aristokratie gilt die Beschränkung der sexuellen Beziehung auf die Ehe sehr oft als bürgerlich und nicht als standesgemäß.

Ein bestimmter Stand der menschlich-gesellschaftlichen Gebundenheit korrespondiert mit einer bestimmten Form von Freiheit. Es gibt Befreiungen von einer Form von Gebundenheit, die stark drücken.

Freiheit oder Zwang als Antithesen wie Himmel und Hölle?

Der Prozess der Zivilisation und der Fortschritt der Bindungen geht Hand in Hand mit Befreiungen mannigfachster Art.
Das symbolisiert die Ehe an den absolutistischen Höfen. Die Frau war hier freier von äußeren Zwängen als in der ritterlichen Gesellschaft.

Aber der innere Zwang, der Selbstzwang, den sie entsprechend der Integrationsform und dem Verhaltenscode der höfischen Gesellschaft auferlegen musste, war für die Frau wie für den Mann im Verhältnis zur ritterlichen Gesellschaft gewachsen.

Ähnliches zeigt sich bei der Betrachtung der bürgerlichen Eheform des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu der höfisch-aristokratischen des 17. u. 18. Jahrhunderts.

Das Bürgertum als Ganzes ist im 19. Jahrhundert vom Druck der absolutistisch-ständischen Gesellschafts-Verfassung befreit und den Zwängen, als zweitrangige Menschen enthoben. Aber andere Verflechtungen sind gewachsen.

Die gesellschaftliche Gebundenheit des Einzelnen ist stärker als zuvor.

Das Schema der Selbstzwänge, das den Menschen der bürgerlichen Gesellschaft im Zusammenhang mit der Berufsarbeit auferlegt wird ist nun anders.

Der Selbstzwang, den die bürgerlichen Funktionen (Berufsarbeit), den vor allem das Geschäftsleben verlangt und produziert, ist noch stärker als der, den die höfischen Funktionen erforderten.

Eine besonders strenge Disziplinierung der Sexualität wird notwendig.

Vom Standard der bürgerlichen Gesellschaft wird jede außer eheliche Beziehung der Geschlechter verurteilt. Die gesellschaftliche Stärke des Mannes ist zunächst stärker als die der Frau. Der Mann wird nachsichtiger beurteilt.

Manfrau kann den Trend der Bewegung herausarbeiten, durch die Beobachtung der Männer der Oberschicht. Ritter (Krieger)-Höflinge-Berufsbürger.

Die heutige Badekleidung hat einen sehr hohen Standard der Triebgebundenheit zur Voraussetzung.

Nur in einer Gesellschaft, in der ein hohes Maß von Zurückhaltung zur Selbstverständlichkeit geworden ist, und in der Frauen, wie Männer absolut sicher sind, dass starke Selbstzwänge und eine strikte Umgangsetikette jeden Einzelnen im Zaume halten, können sich Bade- und Sportgebräuche von solcher Art und Freiheit entfalten (S. 257).

misterlinker

backlinksite

stats

BlogCatalog News

twittercounter

TwitterCounter for @transitenator

twitter updates

BC Neighbors

Blogger:

Mein Bild
Bad Goisern @ HallstaetterSee, Upper Austria, Austria
Austrian Blogger Stumbler Digger Social Networker Promoter etc-
Powered By Blogger

  © Blogger template Brooklyn by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP