20070427

Kampf, Konflikt, Angst, Lust, Zivilisation zt-39

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Wandlungen der Angriffslust.- Das Affektgefüge des Menschen ist ein Ganzes auch wenn wir einzelne Triebäußerungen unterscheiden. Diese ergänzen und ersetzen sich, bilden eine Art von Stromkreis im Menschen.

Triebäußerungen sind voneinander wenig trennbar und bilden eine Teilganzheit innerhalb der Ganzheit des Organismus und sind gesellschaftlich geprägt.

Es wird zwar gerne von einzelnen 'Trieben' gesprochen aber die Denkformen die nicht die Zugehörigkeit und die Einheit und Ganzheit des Triebhaushalts sehen bleiben dieser Ganzheit gegenüber ohnmächtig. Jede besondere Triebrichtung gehört zu dieser Ganzheit.

Wenn im folgenden von einem 'Angriffstrieb' gesprochen wird, so nur als eine Triebfunktion im Ganzen eines Organismus, und Wandlungen dieser Funktion zeigen Wandlungen der gesamten Modellierung an.

Der Standard der Kampfeslust ist gegenwärtig durch eine Unzahl von Regeln und Verboten, die zu Selbstzwängen geworden sind, eingeengt und gebändigt. Auch hier die gleiche geschichtliche Verwandlung.

Die Entladung der Affekte im Kampf war vielleicht im Mittelalter nicht mehr ganz so ungedämpft wie in der Frühzeit der Völkerwanderung (S. 265).
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Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995 Exzerpt: transitenator.
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In der mittelalterlichen Gesellschaft gehören Raub, Kampf, Jagd zu den Lebensnotwendigkeiten und treten offen zutage.
Für die Mächtigen und Starken gehört es zu den Freuden des Lebens. Gefangene werden verstümmelt, Brunnen verschüttet, Bäume abgehauen, Felder verwüstet. Das Geld hatte in der Ritterzeit eine dämpfende Wirkung. Ritter wurden ausgelöst, die Armen verstümmelt.

Es gab keine strafende, gesellschaftliche Gewalt. Die einzige Bedrohung war die von einem Stärkeren überwältigt zu werden.

Im 13. Jahrhundert gehört Rauben, Plündern, Morden zum Standard der Kriegergesellschaft. Die Grausamkeitsentladung schloss nicht vom gesellschaftlichen Verkehr aus. Sie war nicht gesellschaftlich verfemt.

Die Freude am Quälen und Töten anderer war groß, und es war eine gesellschaftlich erlaubte Freude. Manfrau verhielt sich gesellschaftlich zweckmäßig und fand seine Lust dabei. (Unverstümmelte Gefangene bedeuten eine Bedrohung). Die Zukunft war fast immer ungewiss. Der Augenblick galt dreifach.

Das Gros der weltlichen Oberschicht des Mittelalters führte das Leben von Bandenführern. Der Krieger des Mittelalters liebte den Kampf nicht nur, er lebte darin, sein Leben hatte keine andere Funktion.

Im 15. Jahrhundert gibt der Ritter noch seiner Freude am Kampf Ausdruck, also Kriegslust die die Furcht besiegt, und Freude an der Verbundenheit mit dem Freund.
Beim Bauern war der Spielraum der Angriffslust beschränkt auf seinesgleichen.
Der Ritter war außerhalb seiner Schicht weniger beschränkt als innerhalb (ritterlicher Code).

Für die geistliche Oberschicht des Mittelalters ist das Leben in seiner Gestaltung durch den Gedanken an den Tod und an das was nachher kam, an das Jenseits bestimmt.

In der weltlichen Oberschicht ist das keineswegs mit solcher Ausschließlichkeit der Fall (S. 271).
"Kein courtoiser Mann soll die Freude schelten, er soll Freude lieben" (13. Jahrhundert).
Das sind deutliche Abhebungen des ritterlichen Menschen gegen den Kleriker.

Den Tod nicht zu fürchten, war eine Lebensnotwendigkeit für den Ritter.

Auch das Leben der Bürger in den Städten war, von Fehden durchsetzt, auch hier Angriffslust, Hass und Freude an der Qual anderer, ungebändigter als in der folgenden Phase.

Es war nicht allein die Waffe des Geldes, die den Bürger hoch trug.

Raub, Kampf, Plünderung, Familienfehde, das alles spielte im Leben der Stadtbevölkerung kaum eine geringere Rolle als im Leben der Kriegerkaste.

Wettstreite gegenseitiger Beschuldigungen, wilde Schlachten bei Rittern und Kaufleuten und Handwerkern. Familienfehden. Auch die Bürger, die kleinen Leute, Mützenmacher, Schneider, Hirten, sie alle hatten schnell das Messer in der Hand.

Ausbrüche von Freude und Lustigkeit, aber auch plötzliches Aufflackern von Hass und Angriffslust.

Das sind Symptome des emotionalen Lebens. Die Triebe, die Emotionen spielten ungebundener, unvermittelter, unverhüllter als später.

Die Religion wirkt für sich allein niemals zivilisierend oder Affekt dämpfend. -o- (Anmerkung: Ein überaus interessantes Thema: Religion <---> Zivilisation. Nachdem ich hier auf diesem Blog eine gewisse Basis eingerichtet habe, wird hier etwas mehr Lebendigkeit einkehren. Während des Schreibens für diverse Blogs habe ich auch einen Haufen Daten gesammelt die ich bis zum Herbst bzw. hoffentlich Winteranfang 2007 ausgewertet habe. Und dann gibt's sozusagen neuen Wein! Hoit nur a kloans Glaserl oba wems schmeckt...).-o-

Umgekehrt: Die Religion ist jeweils genau so zivilisiert, wie die Gesellschaft oder wie die Schicht die sie trägt (S. 277).

Das Leben in dieser Zeit, war von einer anderen Affektgeladenheit als unsere. Wer in dieser Gesellschaft nicht aus voller Kraft liebte oder hasste, der mochte ins Kloster gehen, im weltlichen Leben war er ebenso verloren, wie derjenige der in späterer Zeit seine Leidenschaften nicht zu zügeln vermochte.

Hier wie dort ist es der Aufbau der Gesellschaft, der einen bestimmten Standard der Affektbewältigung verlangt und züchtet.
Damals war das Land in Provinzen zerfallen und die Einwohner jeder Provinz bildeten gewissermaßen eine kleine Nation für sich, die alle anderen verabscheute. Es gab eine beständige Rivalität.

Der Zusammenhang von Gesellschaftsaufbau und Affektaufbau: Es gibt hier keine Zentralgewalt, die mächtig genug ist, um Menschen zur Zurückhaltung zu zwingen.
Wenn eine Zentralgewalt wächst, dann ändert sich auch allmählich die Affektmodellierung und der Standard des Triebhaushalts.
Dann schreitet die Rücksicht der Menschen aufeinander im normalen gesellschaftlichen Leben fort. Und die Affektentladung wird auf bestimmte zeitliche und räumliche Enklaven beschränkt.

Heute bedarf es einer gewaltigen sozialen Unruhe und Not, es bedarf vor allem einer bewusst gelenkten Propaganda, um die aus dem zivilisierten Alltag zurückgedrängten, die gesellschaftlich verfemten Triebäußerungen wieder aus ihrer Verdeckung zu wecken und zu legitimieren (S. 279).
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Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995 Exzerpt: transitenator.
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Diese Affekte haben in verfeinerter Form ihren legitimen Platz in der zivilisierten Gesellschaft.
Die Kampf- und Angriffslust findet z.B. einen gesellschaftlich erlaubten Ausdruck im sportlichen Wettkampf.

Und sie äußert sich vor allem im 'Zusehen', etwa im Zusehen von Sportkämpfen, in der tagtraumartigen Identifizierung zur Entladung solcher Affekte. -o- (Anmerkung: 2007: Wirkung von Konsum, Angebot und Nachfrage, Fernsehen, Radio, Musik, MP3 Player, Bands, etc. Weiters heute auch Reizüberflutung in den wohlhabenden Regionen der Erde, Diskrepanz Reichtum-Armut, imperialistische Macht-Interessen, Neo-Kolonialismus, ja es wird viel auf der Affekt-Klaviatur gespielt).-o-
Und dieses Ausleben von Affekten im Zusehen, oder selbst im bloßen Hören ist ein besonders charakteristischer Zug der zivilisierten Gesellschaft.

Was ursprünglich als aggressive Lustäußerung auftritt wird verwandelt in die passivere, gesittetere Lust am Zusehen, eine bloße Augenlust, 'wird bloß mit dem Auge berührt'(S. 280).
Das Auge wird zum Vermittler von Lust, weil die unmittelbareren Befriedigungen des Lustvorganges in der zivilisierten Gesellschaft durch eine Unzahl von Verboten und Schranken eingeengt sind.
Die unmittelbaren Triebäußerungen (Aktionen) werden ins Zusehen verlegt. Aber auch der Boxkampf ist eine gemäßigte Form verwandelter Angriffs- und Grausamkeitsneigungen.

Der Affekthaushalt verwandelte sich in der Geschichte. Vieles von dem, was ehemals Lust erregte, erregt heute Unlust.
Hier wie dort, sind die Vergnügungen, die die Gesellschaft sich verschafft, Inkarnationen eines gesellschaftlichen Affektstandards, in dessen Rahmen sich alle individuellen Affektmodellierungen halten.
Wer aus dem Rahmen tritt gilt als anormal.

Auch hier der psychische Mechanismus, auf Grund dessen sich die geschichtliche Transformation des Affektlebens vollzieht: Gesellschaftlich unerwünschte Trieb- und Lustäußerungen werden mit Maßnahmen bedroht und bestraft, die Unlust erzeugen oder dominant werden lassen.

Und so kämpft die gesellschaftlich erweckte Unlust und Angst mit einer verdeckten Lust.

Frage: Welche Veränderung des gesellschaftlichen Aufbaus löste eigentlich diese psychischen Mechanismen aus. Welche Veränderung der Fremdzwänge setzte diese Zivilisation der Affektäußerungen und des Verhaltens in Gange? (S. 283).

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