U.S.A.- Soziale Voraussetzungen politischer Demokratie, sk-17
Tweet this!Dahrendorf meint, dass die amerikanische Verfassung Weber gefallen hätte. Präsidentschaft ist hier reine Führung, der Kongress reine Demokratie, Rolle der Bürokratie dadurch verringert, dass es einer neuen Administration erlaubt wird alle Schlüsselpositionen mit eigenen Leuten zu besetzen. Das System der USA gibt nach Dahrendorf allem Anschein nach eine plausible Antwort auf die Frage der modernen Politik.
Mobilität ist Amerikas Grundmerkmal. (Dahrendorf spricht von den 'U.S.A.' als 'Amerika'). Mobilität war von Anfang an mit der Demokratie im Sinne von Tocqueville verknüpft, das heißt mit einer Grundgleichheit der Lebensbedingungen, in der es an traditionellen Abhängigkeitsverhältnissen auffällig fehlte.
Manche behaupteten, dass durch die Klassenlosigkeit der amerikanischen politischen Ideologie, die Parteizugehörigkeit in Amerika weniger als in anderen Ländern auf Klassenspaltung beruhe. Aber dieser Schluss wurde widerlegt.
Nach S. M. Lipset sind politische Konflikte in Amerika bereits viel früher dem Klassenmodell gefolgt. (Anmerkung: 'Klasse' ist für Dahrendorf ein 'Fixum').
Schon Tocqueville: "Je tiefer wir in die innersten Überlegungen dieser Parteien eindringen, desto deutlicher merken wir, dass das Ziel der einen in der Begrenzung und das der anderen in der Ausweitung der Macht des Volkes liegt".
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Quelle: 'Der moderne soziale Konflikt' von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Sind die USA ein Musterbeispiel?
Lipset behauptete in den 60 er Jahren als Urheber einer der damals vorherrschenden Theorien, dass die Demokratie vom Stand der Wirtschaftsentwicklung abhängt. "Je wohlhabender eine Nation ist, desto größer sind die Chancen, dass Demokratie in ihr Halt findet".
Dahrendorf meint es wäre nicht absurd eine Gegenthese aufzustellen: Demokratie erlaubt es Ländern, wirtschaftliche Nullsummenspiele in Freiheit zu spielen. Aber Dahrendorf ist der Anschauung, dass das amerikanische Beispiel eine ganz andere Geschichte der sozialen Voraussetzungen von politischer Demokratie erzählt.
Es ist die Verbindung der Bürgerrechte mit der offenen Grenze (siehe unten). Die Bürgerrechte sind dem nahe was Tocqueville als Grundbedingungen der Gleichheit und Demokratie bezeichnet hat. Sie sind im amerikanischen Fall Zugehörigkeitsrechte, die im wesentlichen auf die rechtliche und politische Sphäre beschränkt bleiben.
Die amerikanische Geschichte beschreibe die große Virulenz dieser großen Kraft der Moderne. Amerikanische Geschichte: 1770 Verfassungskämpfe, 1860 Bürgerkrieg, 1960 Bürgerrechtsbewegung sind herausragende Ereignisse in einer langen Geschichte des Kampfes um die Durchsetzung des Bürgerstatus, auf dem nie endenden Weg zur Durchsetzung der Bürgerrechte für alle.
Es bleibt das Zögern der Amerikaner festzuhalten, wenn es um die Ausweitung solcher Anrechte in die soziale Sphäre geht. Amerikaner mögen den Gedanken von sozialen Anrechten nicht. Dahinter steckt die Annahme, dass Selbstverantwortung und Selbständigkeit sich ohne Rekurs auf soziale Bürgerrechte erreichen lassen.
Menschen haben also nicht einfach ein Anrecht auf soziale Leistungen, sondern treten in eine Art Vertragsbeziehung (eher Privatvertrag als Gesellschaftsvertrag). Menschen bekommen Hilfe in der Annahme, dass sie bereit sind, ihren eigenen Beitrag zu leisten (also im Kern für sich selbst zu sorgen).
In Amerika Bürgerrechte als Eintrittskarte zum wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben. Dann Kampf aller gegen alle, 'rat race'. Sozialdarwinismus spielt in Amerika nicht nur die Rolle einer Philosophie.
Das restriktive Verständnis des Bürgerstatus funktioniert, weil es Chancen des individuellen Vorankommens gibt. Offene Grenze mit dem Namen 'Wirtschaftswachstum'.
Solange die Möglichkeit besteht, ein größeres Angebot ('Wirtschaftswachstum') zu produzieren, gibt es auch - auf der Grundlage der Eintrittskarte der Bürgerrechte und des Fehlens von förmlichen Anrechtsschranken - die Chance, dass einzelne mehr verdienen und ihre Lebenswünsche verwirklichen.
Es gibt ein amerikanisches Gleichgewicht von elementaren Bürgerrechten und einem unbegrenzt scheinenden Angebot.
Dieses Gleichgewicht als das Geheimnis der politischen Demokratie in Amerika.
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