Zivilisation & Selbstbewusstsein zt-19
Tweet this!Ein Ausdruck und Spiegelbild dieser Reformideen ist der Begriff 'civilisation' der zunächst Ausdruck für die spezifische Hellsicht des Oppositionellen, des Gesellschaftskritikers ist. Auch das 'Zivilisiert-Sein' wird als Ausdruck eines Kreislaufs erkannt. Das ist der Sinn des Wortes 'Zivilisation' in diesem frühen Stadium seines Gebrauchs.
Nach Mirabeau steht die echte Zivilisation im Kreislauf zwischen der Barbarei und der falschen der 'dekadenten' Zivilisation, die durch einen Überfluss an Geld erzeugt wird. Es gilt auf einer mittleren Linie zwischen Barbarei und Dekadenz durch zu steuern. Ein Gedeihen der Gesellschaft zwischen diesen beiden Positionen.
Der Reformwille hält sich im Rahmen des bestehenden, von oben manipulierten Gesellschaftssystems. Er knüpft an das Bestehende an und er wünscht es zu bessern durch geschickte und aufgeklärte Maßnahmen, damit aus der falschen Zivilisation eine gute und wahre Zivilisation werde (S. 57).
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Quelle: Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Erstmals veröffentlicht 1936, Francke Verlag: 1969 2. Auflage,Suhrkamp:1976 1. Auflage,19. Auflage 1995
Exzerpt: transitenator
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1773 Boston Tea Party, 1775 Unabhängigkeitserklärung der amerikanischen Kolonien. Die Regierung, heißt es, ist eingesetzt für das Glück des Volkes. Wenn sie dem Zweck nicht entspricht, hat eine Majorität des Volkes das Recht sie abzusetzen.
1774 stirbt Ludwig XV. Kampf um Reform mit verstärkter Gewalt. Turgot wird Finanzminister.
'Civilisation' nun als geläufiger, fixierter Begriff. Zwei Vorstellungen verschmelzen in diesem Begriff. Einmal ist er ein Gegenbegriff zum Zustand der Barbarei. Aber Zivilisiert-Sein ist nicht nur ein Zustand, sondern ein Prozess der weitergeführt werden muss. Das ist das Neue, was in diesem Begriff zum Ausdruck kommt.
Die Befreiung von alledem, was noch barbarisch oder vernunftwidrig an den bestehenden Zuständen ist (ob Gerichtsstrafen, ständische Schranken, Handelsbarrieren..). 'Civilisation' bezieht sich auf alles was noch 'barbarisch' ist. Manfrau sieht, wie die aufsteigende mittelständische Intelligenz Frankreichs im Zuge der höfisch-aristokratischen Tradition steht.
Der Begriff 'civilisation' spiegelt genau in dem gleichen Maße das spezifische, soziale Schicksal des französischen Bürgertums, wie der Begriff der 'Kultur' das des deutschen. Dieser Begriff ist ein Instrument oppositioneller, mittelständischer Kreise in der inneren gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Und er wird mit dem Aufstieg des Bürgertums zum Inbegriff der Nation, zum Ausdruck des nationalen Selbstbewusstseins. Bei der Revolution spielt er keine so große Rolle, aber schon kurz vor der Jahrhundertwende hat er seinen Sinn als Rechtfertigungsbegriff der nationalen Ausbreitungs- und Kolonisationsbestrebungen Frankreichs gefunden.
Napoleon 1798 auf dem Weg nach Ägypten zu seinen Soldaten: "Soldaten, Ihr unternehmt eine Eroberung, deren Folgen für die Zivilisation unberechenbar ist".
Von nun ab, erscheint den Völkern der Prozess der Zivilisation im Innern der eigenen Gesellschaft als vollendet; sie fühlen sich im wesentlichen als Überbringer einer bestehenden oder fertigen Zivilisation zu anderen, als Bannerträger der Zivilisation nach außen (S. 63).
Das Bewusstsein dieser 'Zivilisation' dient von nun ab zum mindesten denjenigen Nationen, die zu kolonisierenden Eroberern und damit zu einer Art von Oberschicht für weite Teile der außer europäischen Erde geworden sind, im gleichen Maße zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft.
In der Tat ist eine wesentliche Phase des Prozesses der Zivilisation in eben jener Zeit abgeschlossen, in der das Bewusstsein der Zivilisation, das Bewusstsein von der Überlegenheit des eigenen Verhaltens (Substantialisierungen in Wissenschaft, Technik oder Kunst) sich auszubreiten beginnt (S. 64).
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