Konvergenz Sozialismus Offene Gesellschaft sk-23
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Anmerkung: Manche der Befunde hier mögen etwas antiquiert erscheinen. Allerdings 'wiederholt die Geschichte sich' einerseits und andererseits haben wir auf der Erde in den verschiedenen Staaten/Regionen äußerst unterschiedliche 'Entwicklungslagen'.
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Das Bild einer friedlichen industriellen Gesellschaft ist irreführend. Zu Raymond Arons Zeiten der kalte Krieg, Konflikt der Systeme. Aron war führender Theoretiker von Krieg und Frieden und den Gesetzen der internationalen Politik.
Arons (Achtzehn Vorlesungen) handelt von der entwickelten Welt überhaupt (OECD und Sowjetunion). Aron geht aus von Clarks und Fourastiés These des Überganges von primären zu sekundären zu tertiären wirtschaftlichen Betätigungen und bezieht sich auf Walt Rostows 'Stadien des wirtschaftlichen Wachstums'.
Aron findet Ähnlichkeiten der Wirtschaftsentwicklung der industriellen Gesellschaften in Ost und West. Aron (1955) meint 'der Schlüssel zur modernen Wirtschaftsgeschichte ist der technische Fortschritt' (der in einem kapitalistischen aber auch sozialistischen Regime stattfinden kann,- zwei verschiedene Beispiele derselben Art von Transformation).
Er sieht also Ähnlichkeiten aber er verwechselt 'Sozialisierung' (übernommen von Schumpeters 'Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie') mit Sozialismus (Dahrendorf S. 153).
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Damals (1955) sah es so aus als könnte die Sowjetunion die USA ein- und überholen.
Heute (anfangs der 90er), selbst nach Gorbatschows Perestroika, sehen wir den langen Weg den der Osten noch zu gehen hat. Es gibt sicherlich gewisse gemeinsame Merkmale aller industriellen Gesellschaften aber bei genauerem Hinsehen fallen vornehmlich die Unterschiede zwischen den ökonomischen und den sozialen Strukturen auf. (Arons Beispiel von Renault und Citroen, das eine staatlich das andere privat, das eine stagnierte das andere florierte).
Begriffe und Analysen, die solche Unterschiede überspielen sind offenbar untauglich. In den 50er Jahren war ein Verständnis industrieller Gesellschaften im Schwange, das heute zumindest zu ernsten Fragen (radikalen Revision) Anlass gibt (S. 154).
Dahrendorf unterscheidet sozialistische Vision (Hoffnung auf Gerechtigkeit in Freiheit) und sozialistische Realität.
Innerhalb der sozialistischen Realität Unterscheidung zwischen Sozialdemokratie (hier geht es um die Ausweitung des Prozesses der Bürgerrechte durch Reform unter den Bedingungen der wirtschaftlichen und politischen Vielfalt) und real existierendem Sozialismus.
Bei letzterem kann man wieder unterscheiden: Die bürokratische Autokratie, der administrative Zentralismus in den Satellitenstaaten der Sowjetunion war weit entfernt vom sozialistischen Traum.
Eine kleine Anzahl Länder (China, Kuba) entwickelten eine eigenständige Form des real existierenden Sozialismus.
Die wirtschaftlichen und sozialen Strukturmuster dieser Länder sind nicht eine Alternative zu denen kapitalistischer Länder. Sie sind eher ein Phänomen der späteren Entwicklung.
Nur eine sehr kleine Anzahl von Ländern hat es geschafft , sowohl den Bürgerstatus als auch wirtschaftlichen Wohlstand, sowohl Anrechte als auch Angebot zu einem gewissen Niveau von Lebenschancen zu entwickeln, das den Test besteht, der dieser Analyse zugrunde liegt. Die meisten Gesellschaften verfangen sich in schmerzhaften Widersprüchen des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik.
Die von ihm erfassten Länder definieren ihr Problem zunächst politisch. Eine vornehmlich an Machterhaltung interessierte politische Klasse hält alle spontanen Regungen der Bürger nieder und mobilisiert dies als Untertanen (obwohl 'Genossen' genannt, Druschba-Freundschaft).
Der Wunsch nach florierender Wirtschaft muss immer hinter politischen Notwendigkeiten zurücktreten, welche mit Organisation und Kontrolle, mit Nachfolgefragen, Rekrutierungsmechanismen, Gehorsam, Indoktrinierung, Normierung, Regulierung und mit allen von Max Weber beschriebenen Requisiten der Bürokratisierung zu tun haben.
Die Errichtung einer solchen Herrschaft bedeutet den ständigen Kampf gegen Dilettanten, Idealisten, Kritiker, Rivalen, gegen Initiative und Kreativität.
Jede Linderung der Kontrolle enthält ein hohes Risiko. Das aber bedeutet, dass eine moderne, anpassungsfähige, sich selbst ständig erneuernde Wirtschaft nicht entstehen kann.
Der Gipfel sozialistischer Errungenschaften ist die Kombination von Privilegien der Nomenklatur, die dieser das Äquivalent einer westlichen Kleinbürgerexistenz erlauben und einer unzuverlässigen Versorgung mit Elementargütern für die vielen in einer grauen Alltagswelt (S. 157).
Der Zusammenbruch von 1989 stellt die Frage des Verhältnisses von politischer und wirtschaftlicher Modernisierung mit Schärfe. Um menschliche Lebenschancen zu erhöhen muss beides, der Fortschritt der Anrechte und der Fortschritt des Angebotes angepackt werden und zwar gleichzeitig und parallel.
Die Frage, ob es strategische Hebel gibt, die politische und wirtschaftliche Reformen zugleich in Gang setzen, ist vielleicht die Schlüsselfrage des Weges in die Freiheit (S. 158).
Diese Bemerkungen haben vorgegriffen, noch sind wir in den 50er Jahren und bei dem Denkfehler der Konvergenz der Systeme.
Ein zentraler Schluss: Der Sozialismus ist nicht die andere Industriegesellschaft, sondern eine Methode zur Einleitung des Prozesses der Entwicklung. Sozialismus ist ein Entwicklungsländer-Phänomen und hat seine Chance dort, wo die ersten Schritte der Modernisierung und Industrialisierung unter autoritärer Herrschaft stattgefunden haben.
Der real existierende Sozialismus ist allenfalls ein zweitbester Weg in die moderne Welt. Er ist ineffektiv. Beharrt er auf politischer Kontrolle, dann bleibt die Wirtschaft unterentwickelt; nimmt er die Erfordernisse wirtschaftlichen Fortschritts ernst, dann wird seine politische Grundlage gefährdet.
Wenn es überhaupt so etwas gibt wie eine Konvergenz der Systeme, dann liegt diese in Varianten der Freiheit welche vielleicht nicht zustande kommen, denn es gibt kein historisches Gesetz, wonach alle Menschen in Wohlstand und Freiheit leben müssen.
Der Gedanke einer Konvergenz der Systeme ist weder plausibel noch wünschenswert.
Es liegt kein vernünftiger Sinn darin, einen Begriff wie den der industriellen Gesellschaft sowohl auf die USA als auch auf die Sowjetunion anzuwenden, ganz zu schweigen von einer Mischung beider Systeme (Nach Dahrendorf ist es ein (schwerer) Irrtum, dass eine Konvergenz der Systeme gut und wünschenswert wäre).
Aron war ein Theoretiker der Konvergenz der Systeme. Er behandelte politische und sozialökonomische Entwicklungen fast völlig voneinander getrennt. Er überschätzte den Sozialismus als System und unterschätzte die Beziehungen von Wirtschaft und Politik in seinen soziologischen Schriften der 50er Jahre.
Durch den Kollaps 1989 ist Konvergenz als Programm erledigt. Ein solches Programm ist schon im Ansatz verfehlt.
Vielmehr: Es gibt nur eine Freiheit, so vielfältig die Varianten ihrer Ausprägung in realen Gesellschaften sein mögen.
Das Denken in Systemen ist selbst ein Hindernis auf dem Weg zur Freiheit.
Wenn die Lösung realer Probleme in realen Gesellschaften eine Ausweitung von Anrechten verlangt, um menschliche Lebenschancen zu vergrößern, dann soll diese stattfinden; ist andererseits eine Ausweitung des Angebotes nötig, dann sind dafür die Bedingungen zu schaffen.
Entscheidend sind die Institutionen, die es erlauben, das zu tun, was in einer gegebenen Situation für nötig gehalten wird, und es auch wieder zu lassen, wenn es die Mehrheit nicht mehr will.
Entscheidend ist für Dahrendorf die offene Gesellschaft.
Die offene Gesellschaft, menschliche Lebenschancen, Bürgerrechte, Wohlstand, Freiheit sind unzweideutig Werte.
Die besonderen Bedingungen wirklicher Gesellschaften sind verschieden. Die Vielfalt der wirklichen Welt ist selbst Teil der offenen Gesellschaft. Es gibt sicherlich gut und böse, aber es gibt kein Reich des Bösen und kein Reich des Guten auf dieser Welt (S.161).
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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