20070508

Arbeitslosigkeit Vollbeschäftigung Bürgerstatus sk-30

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Stagflation hieß das Symptom der 70er Jahre und ihrer Probleme. Wachsende Erwartungen der Menschen und der Widerspruch wurde schmerzhaft spürbar.

Hier soll die Aufmerksamkeit auf die Anrechte gerichtet werden, darauf ob nach Raymond Arons Zeit, nach den Reformen und der neuen Unübersichtlichkeit eine neue soziale Frage entstanden ist, die die Konflikte der Zukunft bestimmen könnte.

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Hinweis auf Quelle bzw. Literatur: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Wir sehen auf den seltsamen Widerspruch von beträchtlichem Wirtschaftswachstum und hoher, andauernder Arbeitslosigkeit. Noch in den guten Konjunkturzeiten der 80er blieb die Arbeitslosigkeit fast überall hoch, ja stieg. Anhaltende Wachstumsraten lenkten von der Arbeitslosenrate ab. Hier wird die europäische Geschichte erzählt.

Hohe Arbeitslosigkeit in einer Zeit des Wirtschaftswachstums stellt Fragen der
1. Wirtschaftsentwicklung,
2. der Geschichte der Arbeit und
3. des Bürgerstatus.

Besondere Qualität des Wirtschaftswachstums der 80er Jahre. Eine Wende der vorherrschenden Wirtschaftspolitik (Keynesianismus) hin zur Angebotsseite, Krieg gegen die Gewerkschaften und gegen manche Interessen des Wohlfahrtsstaates.

Die Urheber der Wende waren Politiker (Reagan, Thatcher). Übersetzt man prozentuales Wachstum zurück in die Menge zusätzlicher Güter und Dienstleistungen pro Jahr, dann ist diese in den 80er Jahre zumeist stärker angestiegen als in den 50er und 60er Jahren.

Die achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt des Wirtschaftswunders. Was war das für ein Wunder?

Susan Strange hat den Begriff des 'Kasino Kapitalismus' geprägt. Das Wunder der 80er Jahre nährte sich von Schulden und gewagten Finanzoperationen (Spekulationen). Im Oktober 1990 erlebten die Börsen ihren ersten Krach, dem weitere folgten.
Ein Börsenkrach bedeutet nicht unbedingt eine Rezession; manchmal scheint es, als hätten Aktienwerte sich abgelöst von der Entwicklung der Unternehmen.
Auch die Volkswirtschaften stellen Fragen. Wie viel nachhaltiges Wachstum hatte stattgefunden in diesem Jahrzehnt? War das Wunder eine optische Täuschung? Sichtbare Präsenz der Erfolglosen in der Arbeitslosigkeit.

In Europa hat das Wachstum der 80er Jahre den Arbeitslosen kaum geholfen. Beruhte dieses Wunder auf der Arbeitslosigkeit?

Es gibt 2 Methoden der Produktivitätssteigerung.

1. Dieselbe Zahl von Arbeitskräften produziert mehr;

2. dieselbe Leistung wird von wenigeren produziert.

Die letztere Methode war verbreitet. Die Beschäftigtenanzahl wurde auf das unentbehrliche Minimum reduziert. Siehe dazu auch die Beziehung von BSP und Arbeitsmenge pro Kopf.
Die beiden Kurven sind auseinander getreten; heute verlaufen sie gegenläufig. So entstand ein höheres Angebot aus wesentlich geringerer menschlicher Leistung.

Der Gedanke, dass die technische Entwicklung menschliche Arbeit überflüssig macht, ist in den letzten 200 Jahren regelmäßig wiederholt worden, aber er findet heute weniger Anhänger, als in der großen Automationsdiskussion der 50er Jahre.

Heute ist Arbeit nicht mehr die Antwort auf soziale Fragen, sondern sie ist selbst Teil der neuen sozialen Frage.

Arbeit ist das durchgängige Thema der industriellen Welt.

Ein Paradox: Moderne Gesellschaften sind Arbeitsgesellschaften, konstruiert um die Arbeitsethik und um die Arbeitsethik und um Berufsrollen, aber sie werden auch vorwärts getrieben von der Vision einer Welt ohne Arbeit.

Es gibt andere Wege in die Welt des Angebots, Schleichwege, aber der Normalweg führt über die Berufstätigkeit. Sie bestimmt das Einkommen, damit das Transfereinkommen, das Sozialprestige, die Selbstachtung und die Art und Weise wie Menschen ihr Leben organisieren. Andererseits gilt Arbeit als Last und mit Staunen und Neid wird/wurde auf die Mußeklasse geblickt.

Vor hundert Jahren waren alle Lebensaspekte auf die Berufsarbeit bezogen. Heute haben die arbeitsfreien Phasen ihre eigene Bedeutung gewonnen und an Umfang zugenommen. Sie werden als eigenständig definiert.
Die Welt der Bildung und der Ausbildung, die Freizeit hat einen neuen Wirtschaftszweig hervorgebracht. Und Ruhestand ist zu einem dritten Lebensalter geworden.

Diese Entwicklungen haben Folge für die Arbeit gehabt. Neokonservative und Sozialisten verbünden sich in einem Lob der Arbeit, während beide außerstande sind, allen Menschen Beschäftigung zu geben.

In Wahrheit geht es ihnen um soziale und politische Kontrolle, für die bislang kein anderer Mechanismus als die Disziplin der Berufstätigkeit erfunden worden ist.

Auf einmal ist Arbeit keine Last, sondern ein Privileg. Auch die Oberschicht ist eher keine Mußeklasse mehr. Öffentliche Zurschaustellung des neuen Reichtums an Arbeit.

OECD: 20% unterhalb des Alters wo Arbeitsmarkt offen steht, 20% im Ruhestand, 10% in Bildungseinrichtungen, dann suchen noch manche keine Arbeit, manche sind dazu nicht imstande also etwa 15%, dann sind noch 10% arbeitslos.
Es bleiben 25% der Bevölkerung, die etwa die Hälfte der Tage des Jahres am Arbeitsplatz verbringt und an diesen Tagen verlangt ihr Beruf etwa die Hälfte ihrer wachen Zeit. Leben wir wirklich in einer Arbeitsgesellschaft?

Ja und den Beweis liefert das Schicksal der Arbeitslosen. Sie passen nicht hinein. Arbeitslos zu sein ist etwas anderes. Es ist nicht akzeptabel. Es zerstört die Selbstachtung von Menschen, bringt ihre Lebensroutine durcheinander und macht sie von staatlicher Unterstützung abhängig.
Es definiert sie aus der Gemeinschaft der Bürger heraus und schafft dadurch eine neue Anrechtsfrage.

Arbeitslosigkeit in den 80ern unterscheidet sich von früheren Formen desselben Phänomens. Vollbeschäftigung wurde für wünschenswert erklärt und Maßnahmen getroffen, um sie herbeizuführen. Diese Maßnahmen beruhten auf der Annahme, dass gesundes Wirtschaftswachstum Vollbeschäftigung hervorbringen würde und umgekehrt.

Frühe Forderungen nach der Regularisierung von Gelegenheitsarbeit über Nachfragesteuerung zur umfassenden Planung von Vollbeschäftigung in der freien Gesellschaft (William Beveridge, John Maynard Keynes).

Es gab keinen Zweifel daran, dass die Arbeitslosigkeit nicht nur unwürdig, sondern verschwenderisch ist, und dass makroökonomische Expansion ein unentbehrlicher Teil der Lösung ist.

Seit den 80er Jahren ist das nicht mehr so eindeutig. Es gibt eine gewisse Ablösung des Wirtschaftswachstums von der Beschäftigung. Eine Politik der Vollbeschäftigung müsste daher ganz andere Wege gehen.
Die unmittelbaren Gründe für diese Probleme mögen technische sein. Die Erfindung immer neuerer arbeitssparender Maschinen und Mechanismen schreitet seit Jahrzehnten voran.
Die tieferen Ursachen dafür, dass es an Berufspositionen zu mangeln scheint, sind indes sozial.

Neue Erfindungen aus Kostengründen und Gründen der Zuverlässigkeit; diese Gründe haben es ihrerseits mit der Verteidigung von Realeinkommen durch organisierte Arbeitnehmer zu tun. Wenn wir tiefer graben, stoßen wir bald erneut auf die moderne Geschichte der Arbeit.

Die Fähigkeit, mit weniger Arbeit mehr zu produzieren, schafft viele neue Lebenschancen.

Das wirtschaftliche Gesamtprodukt hat sich seit 1870 in den OECD-Ländern wahrscheinlich verzehnfacht, zugleich ist die Zahl der pro Person gearbeiteten Stunden auf die Hälfte zurückgegangen (S. 217).

Die Tatsache, dass mit weniger menschlichem Einsatz mehr produziert werden kann, bedeutet, dass die Arbeit knapp werden kann. Einige werden unter bestimmten Bedingungen aus dem Arbeitsmarkt heraus definiert.

Was sind das für Bedingungen?
Die Segmentierung von Arbeitsmärkten in Teilmärkten mit eigenen Qualifikations Erfordernissen erklärt als solche die Dauerarbeitslosigkeit nicht.
Die Flexibilität der Reallöhne oder ihr Fehlen dagegen liefert eine solche Erklärung.

Wenn Löhne wirklich klebrig sind und es unmöglich ist, Beschäftigung auf einem erheblich niedrigerem Einkommensniveau als für etablierte Berufe gängig ist zu schaffen, dann ist Arbeitslosigkeit in einem engen monetären Sinn billiger als Vollbeschäftigung. Indes kommen andere Faktoren dazu.

Arbeitslosigkeit lässt viele der Kernfunktionen der Wirtschaft unberührt.

Die Landwirtschaft ist seit langem ein Sektor mit hoher Produktivität und niedriger Beschäftigung. Die Industrie folgt ihr auf diesem Weg.
Die industrielle Produktion wächst während die industrielle Beschäftigung schrumpft.
Im tertiären Sektor hat die Beschäftigung in traditionellen Verwaltungs- und Verteilungsberufen zugenommen.

In diesen Bereichen ist Produktivität ein komplizierterer Begriff als in der Landwirtschaft oder der Industrie; die Expansion der neuen Bereiche drückt die allgemeine Produktivitätsindizes nach unten, aber das bedeutet wenig.

Primäre, sekundäre und traditionelle Tätigkeit bilden das, was man den sozioökonomischen Kernbereich nennen kann. Dieser lässt sich mit beträchtlich weniger als Vollbeschäftigung aufrecht erhalten.

Will manfrau Vollbeschäftigung, muss manfrau periphere oder entbehrliche Berufe schaffen. Persönliche Dienstleistungsberufe flukturieren, mal in großer Zahl - und sind dann wieder fast verschwunden.

Die 'Informationsgesellschaft' (? Begriff von wem?) bringe mehr Informationen als manfrau verwerten könne, dazu gehören Berufe mit beträchtlichem Qualifikationsniveau.
Es ist ein Spektrum von Berufen entstanden, die in guten Zeiten gefragt sind, aber in schlechten Zeiten entbehrlich.

Die Mehrheitsklasse wacht mit Argusaugen über 'wirkliche Berufe', andererseits mögen sie die Unordnung der Arbeitslosigkeit nicht.

Jedenfalls beginnt sich eine neue Grenze heraus zu bilden zwischen denen, die sichere, gut bezahlte und offenbar sinnvolle Beschäftigung haben und denen für die das nicht gilt.

Dauerarbeitslosigkeit in Ländern mit klebrigen Reallöhnen und einer kurzsichtigen Mehrheitsklasse ist eines der Symptome, wenngleich die eigentliche Trennlinie eher mitten durch die untere Hälfte der Beschäftigten verläuft als zwischen den Berufstätigen und den Arbeitslosen.

Die dadurch geschaffenen Anrechtsfragen sind ernst und nicht einfach.

Berufspositionen als Schlüssel zu den Lebenschancen der Arbeitsgesellschaft waren lange nicht nur die Eintrittskarten in die Welt des Angebots, sondern auch die Voraussetzung des Bürgerstatus.

Berufe waren gleichsam das Nadelöhr zur Anrechtswelt. Das Wahlrecht setzte voraus, dass einer Steuerzahler und Mitglied eines Berufsstandes war.

Soziale Bürgerrechte waren und sind auf Berufstätigkeit bezogen, vor allem durch das Versicherungsprinzip für soziale Anrechte.

Der Bürgerstatus ist nicht Ergebnis eines Tauschvertrages, er ist nicht vermarktbar.

Die Trennung des Bürgerstatus vom Beruf bedeutet Fortschritt.

Ein 'Recht auf Arbeit' ist entweder eine leere Phrase oder ein Missbrauch des Wortes 'Recht'.
Kein Richter kann Arbeitgeber zwingen Arbeitslose einzustellen.

Im Interesse der Freiheit ist es wichtiger, das Recht, nicht zu arbeiten, zu etablieren, so dass Regierende niemanden in eine Abhängigkeit zwingen können.

Das ist kein Scherz sondern der Ausfluss eines klaren Begriffes von Recht und Anrecht einerseits, Politik und Angebot andererseits.

Die Dauerarbeitslosigkeit stellt nichtsdestoweniger Anrechtsfragen. Solange der Zugang zu Märkten und damit zum Angebot von Beschäftigung abhängt, bedeutet dass Arbeitslosigkeit diesen Zugang versperrt (S. 220).

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