20070526

Feudalismus Feudalsystem zt-46

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Die Expansionsbewegung kam im 11. Jahrhundert allmählich zum Stehen. Die Kriegerbevölkerung wuchs weiter. Das so genannte Feudalsystem das im 12. Jahrhundert deutlicher hervortritt, ist nichts anderes als die Abschlussform dieser Expansionsbewegung im agrarischen Sektor der Gesellschaft; im städtischen hält diese Bewegung noch etwas an und findet ihre Abschlussform im geschlossenen Zunftsystem.

Die Besitzverhältnisse versteifen sich. Der Aufstieg wird immer schwerer. Auch die Standesunterschiede versteifen sich. Die Hierarchie in der Adelsschicht, die den verschiedenen Größenordnungen des Landbesitzes korrespondiert, tritt immer deutlicher hervor.

Die verschiedenen Titel verbinden sich mit dem Namen eines bestimmten Hauses als Ausdruck für die Größe seines Bodenbesitzes und damit auch seiner militärischen Macht.

Herzöge, Grafen (Comtes), Schiffseigners (Sires). Jeder hält was er kann. Er lässt sich von oben nichts mehr entreißen. Und es kann von unten niemand mehr hinein. Das Land ist verteilt. Aus einer Gesellschaft mit relativ offenen Chancen, wird im Laufe einiger Generationen eine Gesellschaft mit mehr oder weniger geschlossenen Positionen (S. 77).

Manfrau erkennt solche Perioden schon von weitem an einer gewisseren Verdüsterung der Seelen, mindestens bei den zu kurz Gekommenen, an einer Verhärtung und Erstarrung der gesellschaftlichen Formen, an den Sprengungsversuchen von unten und, wie gesagt, an dem stärkeren Zusammenschluss der Gleichgelagerten in hierarchischer Ordnung.

Die einzelnen Krieger sind nun im weiten Gebiet isolierter als zuvor. Neue Beziehungsformen werden hergestellt. Der Einzelne hat keine andere Möglichkeit sich gegen sozial Stärkere zu schützen, als die sich in den Schutz eines Mächtigeren zu stellen!

Individuelle Angewiesenheiten stellen sich her. Man geht Bündnisse ein. Der im Heer höher Rangierende ist 'Lehnsherr', der sozial Schwächere der 'Vasall'.

Individuelle Bündnisse sind zunächst die einzige Form in der die Menschen vor den Menschen Schutz finden können.

Das Feudalsystem steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Stammesverfassung. Mit deren Lösung entstehen neue Integrationsformen und ein mächtiger Schub von Individualisierung.

Es ist eine Individualisierung relativ zum Stammesverband und zum Teil auch relativ zum Familienverband. Der Lehnsschwur ist nichts anderes als die Besiegelung des Schutzbündnisses zwischen einzelnen Kriegern, als die sakrale Verfestigung der individuellen Beziehung zwischen einem Boden vergebenden und schützenden Krieger und einem Dienste vergebenden Krieger.

Der König am einen, der Leibeigene am anderen Ende. Alle Stufen dazwischen haben ein Doppelgesicht. Sie haben nach unten Land und Schutz und nach oben Dienste zu vergeben. Aber dieses Geflecht von Angewiesenheiten des jeweils Höheren auf (kriegerische) Dienste barg Spannungen in sich.

In einer bestimmten Phase ist immer und überall im Abendland die Angewiesenheit der jeweils Höheren auf Dienste größer als die Angewiesenheit der jeweiligen Vasallen, wenn sie einmal über ein Stück Land verfügen, auf Schutz. Das gibt den zentrifugalen Kräften in dieser Gesellschaft, in der jedes Stück Land seinen Herren ernährt, ihre Stärke.

Warum macht der König nicht seine 'Rechtsansprüche' geltend?

Es handelt sich hier nicht um das, was man in einer differenzierten Gesellschaft 'Rechtsfragen' nennt. Die Rechtsformen entsprechen in jeder Zeit dem Aufbau der Gesellschaft.

Das Recht ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist wie in jeder Gesellschaft, Funktion des Gesellschaftsaufbaus, Ausdruck der gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse, Symbol für den Angewiesenheits- und Abhängigkeitsgrad der verschiedenen sozialen Gruppen oder für die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse (S. 82).

In der feudalen Gesellschaft gab es keine stabile Machtapparatur über das ganze Gebiet hin. Die Besitzverhältnisse regulierten sich unmittelbar nach dem Maß der wechselseitigen Angewiesenheit und der tatsächlichen gesellschaftlichen Stärke. Es ist geradezu die Voraussetzung für das Verständnis der feudalen Gesellschaft, dass man die eigenen 'Rechtsformen' nicht als das Recht schlechthin betrachtet.

Jeder Ritter hatte ein Schwert, jeder Ritter hatte ein Recht.

Zur gesellschaftlichen Stärke: Die gesellschaftliche Stärke eines Mannes ist, der Chance nach, in der feudalen Kriegergesellschaft genau so groß, wie der Umfang und die Ergiebigkeit des Bodens, über den er faktisch verfügt.

Wer nicht kämpfen kann, hat kaum eine Chance. Aber wer einmal in dieser Gesellschaft über ein größeres Stück Land verfügt, besitzt als Monopolist des in dieser Gesellschaft wichtigsten Produktionsmittels eine gesellschaftliche Stärke, nämlich Chancen über seine persönliche individuelle Kraft hinaus.

Dass seine gesellschaftliche Stärke so groß ist, wie der Umfang und die Ergiebigkeit der Böden, über die er tatsächlich verfügt heißt zugleich: sie ist so groß, wie sein Gefolge, sein Heer, seine kriegerische Stärke.

Damit ist auch klar, dass er auf Gefolgsleute angewiesen ist. Und das ist ein Element in deren gesellschaftlicher Stärke. Das politische Spiel selbst würde manches von seinem Hasard-Charakter und seinen Mysterien verlieren, wenn das Geflecht der gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse aller Länder in Analysen einigermaßen offen läge (S. 84).

Auch in den Beziehungen zwischen den Staaten, entscheidet ganz unverhüllt die gesellschaftliche Stärke.

Es fehlt in dieser Zeit eine um greifende Machtapparatur, die einem solchen zwischenstaatlichen Recht Rückhalt geben könnte.

Bei einem Völkerrecht ohne Machtapparatur bedeutet das bloß eine Regulierung nach gesellschaftlichen Stärkeverhältnissen und dass ein Machtzuwachs eines Landes, bei wachsender Verflechtung, eine Schwächung der gesellschaftlichen Stärke anderer Länder bedeutet (S. 85).

Es ist mehr als eine zufällige Analogie, die zwischen dem Verhältnis der einzelnen Burgherren in der feudalen Gesellschaft und dem von Staaten in der industriellen besteht!

Die Beziehungen der einzelnen Burgherren untereinander ähneln denen der heutigen Staaten. Um so unmittelbarer entscheidet für das Verhältnis zwischen den Einzelnen ihr Kriegspotential, Größe des Gefolges, des Bodens. Kein Treueschwur, kein Vertrag hält Veränderungen der gesellschaftlichen Stärke stand. Die Vasallentreue regulierte sich letzten Endes immer ganz genau nach dem tatsächlichen Maß von Angewiesenheit zwischen dem Spiel von Angebot und Nachfrage.

Boden ist in der feudalen Gesellschaft immer 'Eigentum' dessen, der tatsächlich darüber verfügt, der die Besitzrechte wirklich ausübt und stark genug ist es zu verteidigen.

Der, der Böden verlehnen muss um Dienste zu bekommen befindet sich daher im Nachteil. Der 'Lehnsherr' hat das 'Recht' auf den verlehnten Boden, aber der Belehnte verfügt tatsächlich darüber. Der Lehnsherr kann manche vom Boden verjagen aber er kann es nicht mit allen machen, da er Dienste der Krieger braucht um andere Krieger zu verjagen. Den Kriegern die ihm halfen, muss er wieder Boden geben usw.

So zerfällt das westfränkische Reich in eine Fülle kleinerer Herrschaftsgebiete. Feudalisierung ist nichts anderes als die Desintegrierung des Besitzes, der Übergang des Bodens aus der Verfügungsgewalt der Könige in die abgestufte Verfügungsgewalt der Kriegergesellschaft im ganzen (S. 88).


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Literatur und Quellenhinweis:
Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation
Band 2 Erstmals veröffentlicht 1936
Francke Verlag: 1969 2. Auflage
Suhrkamp: 1976 1. Auflage
19. Auflage 1995
Exzerpt und Gestaltung: Transitenator
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