Multikultur Bürgerrechte Separatismus Fundamentalismus sk-32
Tweet this!Fragen der Rasse und der ethnischen Zugehörigkeit sind so wichtig, dass sie eine gesonderte Erörterung verlangen. Wenn die Mehrheitsklasse Grenzen der Zugehörigkeit zieht, zieht sie diese nicht nur nach unten, sondern auch an ihren Seiten.
Manche verlieren ihre Bürgerrechte, anderen werden sie von vornherein verweigert. Die Suche nach Homogenität - das Stammesdenken - ist erneut aktuell. Es gibt Zeichen eines sozialen Protektionismus, der sich wie ein Buschfeuer ausbreitet, menschliches Leiden und Formen der Gewalt hervorruft, die sich allen gängigen Methoden der Konfliktbewältigung entziehen.
Die Frage des sozialen Ausschlusses. Die amerikanische Unterklasse ist sicher nicht einfach ein Merkmal der Schwarzen in den USA. Insoweit etwa die ländliche Armut ähnliche Folgen hat, ist sie ein vornehmlich weißes Phänomen.
Offenkundig sind Bürgerrechte eines und volle Teilnahme ist ein anderes (S. 229). Wenn wir von Sozialpathologien und ihrer Häufung sprechen, so ist die schwarze Hautfarbe als ein Element der Benachteiligung anzunehmen. Die britische Erfahrung ist andersartig. Viele kamen freiwillig nach GB. Aber Rasse spielt eine Rolle.
Die Mehrheitsklasse zieht subtile und nicht-so-subtile Grenzlinien (traditionelle Arbeiterbewegung, Zugang zu Sozialwohnungen, Mitgliedschaft in Clubs u. Vereinen).
Der 'Charme' der 'multirassischen (Anmerkung: 'multikulturellen') Gesellschaft' entgeht einer Mehrheit, die eher daran interessiert ist Grenzen zu ziehen als Offenheit zu zeigen. Für die Entfaltung der Bürgerschaft ist das ein Rückschritt. Er verlangt die Neubelebung der Kraft der Bürgerrechte.
Immer mehr Menschen (so scheint es) wollen nicht in einer multirassischen oder selbst multikulturellen Gesellschaft leben. Überdies gilt das nicht nur für komfortable Mehrheiten, sondern auch für die betroffenen Minderheiten.
Sie verlangen ihre eigene Nische, wenn nicht ihre eigene Region, ihr eigenes Land. 'Getrennt aber gleich', eine Forderung der Liberalen der 60er Jahre, ist wieder aktuell geworden, wobei vielfach die Trennung stärker betont wird als die Gleichheit.
Es gibt ein Verlangen nach Homogenität, das sich gegen jeden Versuch wehrt, zivilisierte Gemeinwesen dadurch zu schaffen, dass zuerst Bürgergesellschaften gestiftet werden und dann kulturelle Unterschiede in ihnen gedeihen (S. 231).
Die Zweideutigkeit der Forderung nach 'Selbstbestimmung' entwickelt ihre eigene Dynamik. 'Wir sind das Volk' (Leipzig), das Volk will entscheiden. "Wir sind ein Volk!", ist die Anrufung nationaler Sentiments und Ressentiments.
Im zerfallenen Yugoslawien löste diese Verschiebung des 'Selbstbestimmungsrechts' umstrittene Unabhängigkeitserklärungen, Unterdrückung von Minderheiten und Gewalt aus. Plötzlich stehen wir auf einem Scherbenhaufen der Bürgergesellschaft, auf der doch die Hoffnungen der Freiheit ruhten (S. 232).
Die Wiederentdeckung des Ethnischen (der kulturellen Eigenart von Gruppen mit tiefen historischen Gemeinsamkeiten), hätte ein Schritt voran im Prozess der Zivilisation sein können.
Sie bedeutete das wachsende Verständnis dafür, dass gemeinsame Bürgerrechte nicht im Widerspruch stehen zu kulturellen Unterschieden, sondern diesen im Gegenteil neue Spielräume eröffnen.
Aber die glückliche Harmonie sollte nicht dauern.
Unterschiede wurden als Waffe gegen den Bürgerstatus verwendet und noch verstärkt durch soziale Emotion (Fundamentalismus).
Fundamentalismus bedeutet, dass die Zugehörigkeit zu einer Gruppe die Aura des Außergewöhnlichen annimmt und eine beinahe religiöse Bedeutung gewinnt. Sogar in Israel wird Judentum in den Begriffen einer Orthodoxie erörtert, die Reformjuden ausschließt.
Die offenbare Unmöglichkeit, einen multikulturellen jüdisch-arabischen Staat Israel auf friedliche Weise zusammen zuhalten, stellt eines der explosiven Probleme der Gegenwart dar. Auch im westlichen Europa machen sich Anzeichen eines fundamentalistischen Nationalismus breit.
Der freischwebende Fundamentalismus eines neuen Kulturpessimismus hat ähnliche Wirkungen. Die Gegentendenz zur Gigantomanie der fünfziger und sechziger Jahre und damit gegen die Annahme, dass Effizienz immer größere Dimensionen verlangt war verständlich.
Viele haben sich von der Kraft und Größe einer internationalen Gemeinschaft abgewandt. Eine neue Sehnsucht nach Authentizität nährt eine romantische Suche nach 'realen' statt bloß 'formalen' Beziehungen, also einer Legitimität durch das wärmende Empfinden des permanenten Diskurses statt durch das Recht und die Institutionen, die es begründet.
Diese Beobachtungen erinnern an das Thema der Modernität und der Ligaturen. Die moderne Welt erscheint als kühler Ort. Der Verschnitt von Tocqueville und Marx hat die Lage beschrieben.
Dahrendorf behauptet, dass viele falsche Götter (Nationalismus, Fundamentalismus ...) einen Aspekt teilen, der einen direkten Bezug hat zum modernen sozialen Konflikt um den Bürgerstatus und um Lebenschancen.
Eine Attacke auf die zivilisierende Kraft der Bürgerrechte im Namen eines falsch verstandenen Selbstbestimmungsrechtes der ethnischen, religiösen, kulturellen Autonomie, ja auch von Minderheitenansprüchen.
Ein weicher Liberalismus hat sich ausgebreitet, der den großen Gewinn eines gemeinsamen Bodens von Bürgerrechte und Anrechten für alle aufs Spiel setzt, um dem Separatismus von Minderheiten entgegen zukommen.
So werden Minderheitenrechte zuerst missverstanden und dann pervertiert zur Herrschaft von Minderheiten.
Eine solche Haltung leistet nicht einmal mehr dem Fundamentalismus Widerstand, so dass lautstarke Minderheiten die angebliche Unterstützung von schweigenden Mehrheiten für sich in Anspruch nehmen können.
Das ist ein großer Rückschritt in der Geschichte der Bürgergesellschaft und wir zahlen dafür einen hohen Preis welcher in Konflikten besteht für die niemand eine Lösung kennt (S. 234).
Keine der Erfahrungen der Organisation, Institutionalisierung und Regelung, die den demokratischen Klassenkampf hervorgebracht haben, lässt sich auf aktive Minderheiten anwenden, die entweder Loslösung von einem bestehenden Ganzen fordern oder allen übrigen ihren fundamentalistischen Glauben aufzudrängen suchen.
Terrorakte und Bürgerkriegsdrohungen sind kein Zufall.
Der teuerste Preis wird in Lebenschancen entrichtet und in der Behinderung des Fortschritts zur Bürgergesellschaft in aller Welt. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Beteiligten verstehen, dass der allgemeine Bürgerstatus nicht alle Unterschiede beseitigt (nivelliert) sondern Chancen schafft! Er macht sozialökonomische Ungleichheiten erträglich.
In analoger Weise macht der Bürgerstatus kulturelle Vielfalt erträglich. Das Recht, anders zu sein, ist eines der Grundrechte der Mitglieder von Gesellschaften, aber zu ihnen gehört auch der Verzicht auf Methoden der Durchsetzung, die das Prinzip des gemeinsamen Bürgerstatus gefährden.
Separatisten haben andere Prioritäten als Bürgerrechtler. Sie wollen zuerst ein lettisches Lettland oder ein katholisches Irland und erst viel später Bürgerfreiheiten für Russen in Lettland oder Protestanten in Irland.
Separatisten, Fundamentalisten und Romantiker wollen Homogenität, aber Liberale brauchen Heterogenität, denn sie ist der einzige Weg zu allgemeinen Bürgerrechten in einer Welt der Vielfalt.
Karl Poppers Plädoyer für die offene Gesellschaft: "Wir können zurückkehren zur Stammesexistenz, aber wenn wir die Zivilisation wollen, dann müssen wir voranschreiten zur Bürgergesellschaft" (S. 235).
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