Klassenkampf Korporatismus Institutionalisierung sk-24
Tweet this!Der moderne soziale Konflikt hat es mit Bürgerrechten für alle in einer Welt zunehmender vielfältiger und reicher Wahlchancen zu tun.
Der Konflikt ist in sozialen Zugehörigkeiten begründet, erscheint in einer Vielfalt von Gestalten (kulturelle Bindungen, historische Situationen) und wird in der politischen Arena ausgetragen.
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Lipset übernahm den Begriff des 'demokratischen Klassenkampfes'(1959) von Anderson und Davidson (1943). "In jeder modernen Demokratie findet der Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen Ausdruck in politischen Parteien, die grundsätzlich eine demokratische Übersetzung des Klassenkampfes repräsentieren..." und verallgemeinert, dass Parteien entweder auf den unteren oder den mittleren und oberen Klassen beruhen. Politische Parteien, Wahlen und Parlamente machen Konflikte ohne Revolution möglich.
Raymond Aron sprach nicht von Klassenkampf sondern von gesunder Rivalität und betonte, dass Demokratie bedeutet "Konflikte zu akzeptieren, nicht um sie zu befrieden, sondern um ihren gewaltsamen Ausbruch zu vermeiden".
Dahrendorf: Es hat seinen guten Sinn zu unterscheiden zwischen den großen Kämpfen für Anrechte, insbesondere für Bürgerrechte, und der Forderung nach einer schrittweisen Umverteilung für diejenigen, die bereits den Status voller Bürger genießen. Es bleibt sinnvoll, am Klassenbegriff festzuhalten.
Theodor Geiger ging in seiner 'Klassengesellschaft im Schmelztiegel' vom Fortschritt der Wirtschaftsdemokratie aus. Kapital und Arbeit standen einander ursprünglich unversöhnlich gegenüber; dann aber Organisation der Wechselbeziehungen. Verhandlungen über Löhne, Arbeitsbedingungen, Schlichtung von Gegensätzen.
Die Spannung zwischen Kapital und Arbeit wurde als legitimes Prinzip des Arbeitsmarktes anerkannt. Geiger nennt diesen Prozess die 'Institutionalisierung des Klassengegensatzes'.
Für die Nachkriegsgeneration ist das vertraut: zwei politische Gruppierungen die um die Mehrheit ringen. Die eine Partei ist eher reformerisch, die andere eher konservativ, die eine eher Anrechtspartei, die andere eher eine Angebotspartei. Varianten des demokratischen Klassenkampfes in den verschiedenen europäischen Ländern.
Diese Entwicklungen führten zu theoretischen Extrapolationen. In den USA hat Joseph Schumpeters Anwendung der ökonomischen Theorie auf die Politik Anhänger gefunden. Mit Hilfe von Kenneth Arrows Theorien sozialer Wahlentscheidungen (social choice) wurde eine ökonomische Theorie der Demokratie entwickelt, die vom nahezu totalen Opportunismus politischer Parteien ausgeht.
Politische Führer und ihre Organisationen sind demnach nur Unternehmer und Unternehmen, die in einem besonderen Markt operieren, und deren Erfolg in Stimmen gemessen wird.
Meinungsforschung tritt dann hier an die Stelle von Ideologien. Politik reduziert sich auf die Konkurrenz um Stimmen. Wo die Einbindung in Gruppensolidaritäten - in Klassen - fehlt, gibt es nur noch Einzelthemen.
Deren Verbindung ist dann nur eine Frage des praktischen Nutzens (möglichst viele Stimmen zu bekommen).
Diese Theorie ist eine Überzeichnung als Beschreibung wirklicher Prozesse. Sogar in den USA wo die Politik seit langem von ökonomischen Themen beherrscht wird. Diese Theorie bekommt wichtige Nebenwirkungen der Bändigung des alten Klassenkonflikts nicht in den Griff und übertreibt die Stabilität der neuen Situation.
In Theodor Geigers Analyse kündigt sich eine dieser Nebenwirkungen an. Er beschrieb die Institutionalisierung des Klassengegensatzes und formuliert die These, dass diejenigen, die ihre Gegensatzbeziehung institutionalisiert haben, dieser damit nicht nur den Stachel genommen, sondern zugleich ein Kartell gebildet haben, um ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen.
Die Kontrahenten streiten zwar um die Verteilung des Kuchens, aber sie sind sicher, dass es ihr Kuchen ist, den sie verteilen. Daher sind diejenigen, die dem Kartell nicht angehören die eigentlichen Opfer.
Geiger hatte Schwierigkeiten diese Opfer zu identifizieren (Elend wächst bei Distanz von Einkommensbeziehern zur Güterproduktion). Dahrendorf meint es hätte Geiger geholfen den Gedanken der 'Disparitäten der Lebensbereiche' schon gekannt zu haben. Hier wird argumentiert, dass wichtige neue Konflikte nicht so sehr ganze soziale Gruppen oder Kategorien wie Aspekte des Lebens aller betreffen.
Umweltverschmutzung z.B. führt zur Forderung nach Aktion bei Menschen, die in anderen Hinsichten unterschiedliche Meinungen haben. Das ist die Basis einer themen- und nicht klassenbezogenen Politik.
Geigers Analyse verweist andererseits auf den Korporatismus als einer Entwicklung der Institutionalisierung oder Demokratisierung des Klassenkampfes.
Die Grundlage des demokratischen Klassenkampfes heißt Organisation und die Methode heißt Konsens.
Menschen handeln nicht als einzelne (auch in dieser Hinsicht reicht die ökonomische Theorie der Demokratie nicht zu) sondern als Mitglieder von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden von mancherlei Art.
Der Kampf ist in Wirklichkeit kein Kampf. Es ist hier ein vielfach verschachteltes Kartell von Organisationen. Diese entwickeln immer neue Verfahren, um ihre Sonderinteressen in den politischen Prozess einzubringen.
Sie haben ein gemeinsames Interesse den Kuchen unter Kontrolle zu halten. Das ist ein Angebotskuchen, dahinter liegt die Kontrolle der Macht durch Arrangements zwischen allen Anrechtsträgern.
Das Risiko der korporatistischen Perversion des demokratischen Klassenkampfes liegt darin, dass sie Starre an Stelle von Bewegung hervorbringt.
Der Korporatismus geht nur allzu leicht eine Verbindung mit der Bürokratie ein, und beide rauben der Verfassung der Freiheit ihren Lebenskern, nämlich die Fähigkeit Wandel ohne Revolution hervorzubringen.
Der Korporatismus nimmt das Leben aus dem demokratischen Prozess, Arrangements treten an die Stelle von Debatten, Konsens nimmt den Platz des Konflikts ein. Ein breiter Konsens über Spielregeln und Inhalte herrscht vor. Für die überwiegende Mehrheit ist es im Grunde genommen nicht mehr sehr wichtig, welche der Parteien des großen Konsens' regiert.
Dahrendorf: Klassen sind Kategorien, deren Mitglieder eine gleichartige Stellung in Herrschaftsstrukturen haben. Sie sind entweder am Ruder oder nicht und stehen in einer Konfliktbeziehung zueinander. Solche Konflikte werden politisch virulent, wenn es bei ihnen um Anrechte geht. Die Geschichte des Bürgerstatus ist zugleich die Geschichte des Klassenkonflikts.
Gleichheit vor dem Gesetz durch Kampf der Bourgeoisie. Soziale Bürgerrechte? Diese Rechte sind nirgendwo in der OECD-Welt wirklich allgemein garantiert. Vielmehr gibt es neue Anrechtsfragen. In den 60er und 70er Jahren hat eine große historische Kraft des Wandels ihre Energie verloren, weil das Prinzip, das sie etablieren wollte, weithin akzeptiert worden ist (S. 168).
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Quelle: Der moderne soziale Konflikt von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1992 (1), München 1994, dtv Taschenbuch, Exzerpt: transitenator
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Der Bürgerstatus ist der Schlüssel zu diesem Prozess. In dem Augenblick, in dem die große Mehrheit der Menschen in den OECD-Gesellschaften zu Bürgern im vollen Sinn des Begriffs geworden war, nahmen soziale Ungleichheiten und politische Gegensätze eine neue Gestalt an. Eine neue Solidarität entstand, die vier Fünftel der Mitglieder der Gesellschaft umfasst.
Die neue Klasse ist die Mehrheitsklasse (S. 169).
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