20070714

Funktionsteilung Triebmodellierung ÜberIch Emanzipation tz-07

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N. E. Th. d. Zivilis. Teil 7

Stärkere Bindung der Oberschicht.
Stärkerer Auftrieb von unten.

In für die ritterlich-höfische Oberschicht typischen Bildern des späten Mittelalters wird die Darstellung von Unterschichtsgebärden noch nicht als besonders peinlich empfunden.

Später, nach dem Peinlichkeitsschema der absolutistisch-höfischen Oberschicht kommen gemäßigte, verfeinerte Gesten zum Ausdruck. Vulgäres, an untere Schichten Erinnerndes wird der Gestaltung ferngehalten.

Abwehr des Vulgären, mehr Empfindlichkeit, mehr Sensibilität. Diese hängt mit der spezifischen Regelung und Umformung der Triebimpulse zusammen.
Mit Bestimmtheit wird gesagt, 'das ist gut/schlecht'. Die Sicherheit ihres Geschmacks geht mehr auf unbewusst arbeitende Figuren ihrer psychischen Selbststeuerung zurück, als auf bewusste Überlegungen. Zunächst zeigen kleine Kreise wachsende Empfindlichkeit für Schattierungen und Nuancen, 'Delikatessen'. Dieser gute Geschmack stellt für solche Kreise zugleich einen Prestigewert dar (S. 410).

Alles, was an ihre Peinlichkeitsschwelle rührt, riecht bürgerlich, ist gesellschaftlich minderwertig. Alles, was bürgerlich ist, rührt an ihre Peinlichkeitsschwelle. Es ist die Notwendigkeit, sich von allem Bürgerlichen zu unterscheiden, die diese Empfindlichkeit schärft.
Die Ausgeschliffenheit des gesellschaftlich-geselligen Verhaltens wird zum Hauptinstrument der Prestige- und Gunstkonkurrenz (nicht die berufliche Tätigkeit, nicht der Besitz von Geld).

Ab dem 16. Jahrhundert gerät der Standard des gesellschaftlich-geselligen Verhaltens in raschere Bewegung, bleibt in dieser während des 17. u. 18. Jahrhunderts um sich dann im 18. u. 19. Jahrhundert in bestimmter Weise zu transformieren und durch die ganze abendländische Gesellschaft auszubreiten.

Dieser Schub von Restriktionen und Triebwandlungen setzt ein mit der Verwandlung des ritterlichen Adels in eine höfische Aristokratie.
Er hängt auf engste mit der Wandlung im Verhältnis der Oberschicht zu den anderen Funktionsgruppen zusammen.

Die courteoise Kriegergesellschaft steht noch nicht so unter Druck, steht noch nicht dermaßen in Interdependenz mit den bürgerlichen Schichten, wie die höfische Aristokratie.

Die absolutistisch-höfische Oberschicht ist eine Formation in einem weit dichteren Interdependenzgeflecht. Sie ist in der Zange zwischen dem Zentralherrn des Hofes und den wirtschaftlich begünstigten, bürgerlichen Spitzengruppen, die nach oben drängen.

Sie ist durch bürgerliche Schichten, die nach oben drängen (Auftrieb von unten) weit stärker und ständiger in ihrer sozialen Existenz bedroht.
Die Verhöflichung des Adels vollzieht sich überhaupt nur im Zusammenhang mit einer Verstärkung des Auftriebes bürgerlicher Schichten.

Der Bestand einer stärkeren Interdependenz und einer stärkeren Spannung zwischen adligen und bürgerlichen Schichten ist konstitutiv für den höfisch-aristokratischen Charakter der Spitzengruppen des Adels (S. 412).

Verglichen mit der funktionellen Gebundenheit des freien mittelalterlichen Kriegeradels ist die der höfischen Aristokratie bereits sehr groß. Die sozialen Spannungen zwischen Adel und Bürgertum nehmen mit der zunehmenden Pazifizierung einen anderen Charakter an.
Die höfische Aristokratie ist die erste jener stärker gebundenen Oberschichten, der im Laufe der neueren Zeit dann noch andere stärker gebundene Oberschichten folgen.

Schon im 16. u. 17. Jahrhundert besteht bei bestimmten bürgerlichen Spitzengruppen ein starkes Verlangen danach sich selbst an Stelle des Schwertadels oder wenigstens neben dem Schwertadel als Oberschicht des Landes zu etablieren; die Politik dieser bürgerlichen Schichten ist zu einem guten Teil darauf abgestellt, auf Kosten des alten Adels ihre eigenen Privilegien zu vergrößern.

Beide Gruppen müssen die Beunruhigung, die das ständige Tauziehen erzeugt, mehr oder weniger in sich zurückhalten. Die soziale Spannung ruft bei diesem Aufbau der Interdependenzen in den bedrohten Menschen der Oberschicht eine starke innere Spannung hervor (S. 414). Sie kommen in den stark affektgeladenen Abwehrgesten zum Vorschein, mit denen die höfischen Kreise allem begegnen, was 'bürgerlich riecht'. Sie hält alles 'Vulgäre' aus ihrem Lebenskreis ferne. Und diese ständig schwehlende, soziale Angst bildet schließlich auch einen der mächtigsten Antriebe für die starke Kontrolle, die jeder Angehörige dieser höfischen Oberschicht auf sich selbst und auf das Verhalten der anderen Menschen seines Kreises ausübt; Sie äußert sich in der angespannten Aufmerksamkeit.

Der ständige Auftrieb von unten und die Angst, die er oben erzeugt, ist mit einem Wort, zwar nicht die einzige, aber eine der stärksten Triebkräfte jener spezifischen, zivilisatorischen Verfeinerung, die die Menschen dieser Oberschicht aus anderen hervorhebt und die ihnen schließlich zur zweiten Natur wird (S. 415).

Sie werden kopiert.

Immer wieder werden Gebräuche, die zuvor 'fein' waren, nach einiger Zeit 'vulgär' (= Motor). Erst mit der französischen Revolution hört diese Verfeinerung, diese Ausfeilung der Peinlichkeitsschwelle auf (oder verliert an Intensität).

Den Motor der zivilisatorischen Transformation des Adels (Scham- und Peinlichkeits Schwelle) bildet so neben der schärferen Konkurrenz um die Gunst der Mächtigsten innerhalb der höfischen Schichten selbst, der ständige Auftrieb von unten (S. 416).
Von nun werden aber immer mehr Beruf und Geld zur primären Quelle des Prestiges.

In jeder Gesellschaftsschicht wird der Bezirk des Verhaltens, der gemäß ihrer Funktionen für die Menschen dieser Schicht am lebenswichtigsten ist, auch am sorgfältigsten und intensivsten durch modelliert.
Die Genauigkeit, mit der Handgriffe und Etiketten durch bildet werden entspricht der Bedeutung, die alle diese Verrichtungen sowohl als Distinktionsmittel nach unten, wie als Instrumente im Konkurrenzkampf um die Gunst des Königs für die höfischen Menschen haben.
Es handelt sich hier nicht um geübte Privatvergnügungen einzelner Menschen, sondern um lebenswichtige Erfordernisse der gesellschaftlichen Position.

Im 19. Jahrhundert bilden Gelderwerb und Beruf die primären Angriffsflächen der gesellschaftlichen Zwänge, die den Einzelnen modellieren. Die Formen der Geselligkeit fallen jetzt in die Sphäre des Privatlebens.

Nun treten allmählich bürgerlich-mittelständische Züge schrittweise in den Vordergrund. Ganz generell werden in allen abendländischen Gesellschaften mit dem Niedergang der Aristokratie stärker diejenigen Verhaltensweisen und Affektgestaltungen entwickelt, die zur Bewältigung von Erwerbsfunktionen, zur Durchführung einer mehr oder weniger genau geregelten Arbeit notwendig sind.

Zunächst übernimmt die berufsbürgerliche Gesellschaft das Ritual der höfischen Gesellschaft ohne es selbst gleich intensiv weiterzubilden. Der Standard der Affektregelung rückt erst langsam weiter.
In der englischen 'Society' gibt es diese Aufteilung des menschlichen Daseins in eine Berufs- und eine Privatsphäre nicht.

Wenn diese Spaltung allgemeiner wird, beginnt eine neue Phase im Prozess der Zivilisation. Die Anspannung, die die Aufrechterhaltung der bürgerlichen, sozialen Existenz erfordert ist erheblich größer, als die entsprechenden psychischen Figuren, die ein Leben als höfischer Aristokrat erfordert.
(Beispiel: Geschlechterbeziehung, erotische Prägung der Bevölkerung).

Aber die höfisch-aristokratische Menschenmodellierung mündet in dieser oder jener Form in die berufsbürgerliche ein, und wird in ihr aufgehoben weiter getragen.

Manfrau findet diese Imprägnierung breiterer Schichten mit Verhaltensformen und Triebmodellierungen, die ursprünglich der höfischen Gesellschaft eigentümlich waren, besonders stark in Regionen in denen die Höfe groß und reich und ihr Vorbild daher von großer Durchschlagskraft war. (Beispiele: Paris und Wien). Es sind die Sitze der beiden großen, rivalisierenden, absolutistischen Höfe des 18. Jahrhunderts (S. 418).

Die Verhaltensweisen, die Art der Affektregelung zeigen ein großes Maß an Einheitlichkeit. Das ist eine Folge der wechselseitigen Verflechtung der abendländischen Herrschaftsverbände und der beständigen Interdependenz aller funktionsteiligen Prozesse in den verschiedenen Nationalverbänden des Abendlandes.

Die Phase der halb privaten Gewaltmonopole und der höfisch-aristokratischen Gesellschaft spielt mit ihrer starken Interdependenz über ganz Europa hin für das Gepräge des abendländisch-zivilisierten Verhaltens eine besondere Rolle.

Diese höfische Gesellschaft hatte als erste und in besonders reiner Form die Funktion einer guten Gesellschaft, einer Oberschicht, die unter dem Druck einer intensiven und weitreichenden Verflechtung, unter dem Druck von Gewalt- und Steuermonopolen auf der einen Seite, von aufdrängenden, unteren Schichte auf der anderen Seite stand.

Die höfische Gesellschaft war in der Tat die erste Repräsentantin jener eigentümlichen Form von Oberschicht die in einem hohen Maße gebunden war und deren Lage ein beständiges Ansichhalten, eine intensive Triebregelung erforderte.

Die Modelle dieses Ansichhaltens gingen abgestuft und modifiziert, von Schicht zu Schicht weiter. Vor allem bei Völkern, die im Zusammenhang mit einer frühzeitigen Ausbildung von starken Zentralorganen auch frühzeitig zu Kolonialmächten wurden schärfte sich - durch den Druck der weltweiten Verflechtung (Verkörperung durch die Stärke des Konkurrenzkampfes, Prestigewahrung) auch die Stärke der gesellschaftlichen Kontrolle.

So amalgamierten sich Verhaltensweisen einer höfisch-aristokratischen Oberschicht mit Verhaltensweisen der verschiedenen bürgerlichen Schichten, wenn diese aufstiegen und in die Lage von Oberschichten gelangten (S. 420).

So breiteten sich vom 19. Jahrhundert ab diese zivilisierten Verhaltensformen über die aufdrängenden, unteren Schichten der abendländischen Gesellschaft selbst, so über die verschiedenen Schichten der Kolonialländer aus und amalgamierten sich mit Verhaltensweisen, die deren Schicksal und Funktion entsprachen.

Bei jedem dieser Aufstiegsschübe durchdringen sich Verhaltensweisen der jeweils oberen und der aufsteigenden unteren Schichten oder Verbände.

So kommt es, dass sich in dem Trieb- und Verhaltensschema der verschiedenen, bürgerlichen Nationalverbände, in ihrem 'Nationalcharakter', ganz genau die Art der früheren Beziehungen zwischen Adels- und Bürgerschichten und die Struktur der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zeigt, in der einige von diesen schließlich zur Macht gelangten (S. 421).

Das Schema des Verhaltens in Nordamerika ist weit ausgesprochener mittelständisch als in England, weil dort die Aristokratie frühzeitig verschwand.

Jede dieser Ausbreitungsbewegungen des Zivilisationsstandards über eine weitere Schicht hin aber geht Hand in Hand mit einer Zunahme in deren gesellschaftlichen Stärke, mit einer Angleichung ihres Lebensstandards an den der nächsthöheren Schicht oder mindestens mit einer Hebung ihres Lebensstandards in dieser Richtung (S. 422).

Schichten, die dauernd in der Gefahr des Verhungerns oder auch nur in äußerster Beschränkung, in Not und Elend leben, können sich nicht zivilisiert verhalten.

Zur Züchtung und zur Instandhaltung einer stabileren Über-Ich-Apparatur bedurfte und bedarf es eines relativ gehobenen Lebensstandard und eines ziemlich hohen Maßes von Sekurität. (Dritte Welt Problematik).(Entwicklung)

In a nutshell:
Folgen und Teilerscheinungen der Funktionsteilung

Das elementare Schema dieser Zusammenhänge ist einfach genug: Alles, was bisher an einzelnen Erscheinungen erwähnt wurde (Hebung des Lebensstandards, stärkere Abhängigkeit der Oberschicht, Stabilität der Zentralmonopole ...), also alles das sind Folge- und Teilerscheinungen einer bald rascher, bald langsamer fortschreitenden Funktionsteilung.

Mit dieser Funktionsteilung stieg und steigt die Ergiebigkeit der Arbeit; die größere Ergiebigkeit der Arbeit ist die Voraussetzung für die Hebung des Lebensstandards von immer breiteren Schichten; mit dieser Funktionsteilung wächst die funktionelle Abhängigkeit der jeweils oberen Schichten; und erst von einer sehr hohen Stufe der Funktionsteilung ab ist schließlich auch die Bildung von stabilen Gewalt- und Steuermonopolen mit stark spezialisierten Monopolverwaltungen, also die Bildung von Staaten im abendländischen Sinne des Wortes möglich, mit der das Leben des Einzelnen allmählich eine etwas höhere 'Sekurität' erhält.

Aber diese steigende Funktionsteilung bringt auch beständig immer mehr Menschen, immer weitere Menschenräume in Abhängigkeit voneinander; sie verlangt und züchtet eine größere Zurückhaltung des Einzelnen, eine genauere Regelung seines Verhaltens und seiner Affekte; sie fordert eine stärkere Triebbindung und- von einer bestimmten Stufe ab- einen beständigeren Selbstzwang. Dies ist, der Preis, den wir für die größere Sekurität, den wir für alles andere, was in der gleichen Linie liegt, bezahlen (S. 423).

Erläuterung: Zunächst aber sind Zurückhaltung und Selbstzwang noch weitgehend durch die eigentümliche Spaltung der Gesellschaft in Ober- und Unterschichten bestimmt (noch nicht durch die Notwendigkeit der Kooperation jedes Einzelnen mit vielen Anderen).
Die Art der Zurückhaltung und der Triebmodellierung, wie sie sich bei den Menschen in der jeweils höheren Schicht herstellt, erhält daher ihr besonderes Gepräge zunächst noch durch die ständigen Spannungen, die die Gesellschaft durchziehen.

Die Ich- und Über-Ich-Bildung dieser Menschen ist sowohl bestimmt durch den Konkurrenzdruck, durch die Ausscheidungskämpfe innerhalb der eigenen Schicht, wie durch den beständigen Auftrieb von unten, den die fortschreitende Funktionsteilung in immer neueren Formen produziert.
Stärke und Widerspruchsreichtum der gesellschaftlichen Kontrolle, hängt nicht nur damit zusammen, dass es die Kontrolle von konkurrierenden Existenzen ist, sondern vor allem auch damit, dass die Konkurrierenden zugleich gemeinsam ihr unterscheidendes Prestige, ihren gehobenen Standard, gegenüber Aufdrängenden zu wahren haben (S. 423).

Betrachtet manfrau die Linie dieser Prozesse über Jahrhunderte hinweg, dann sieht manfrau eine klare Tendenz zur Angleichung der Lebens- und Verhaltensstandarde, zur Nivellierung der großen Kontraste. Aber diese Bewegung geht nicht geradlinig vor sich.
Manfrau kann in jeder dieser Ausbreitungswellen von Verhaltensweisen eines kleineren Kreises zu einem größeren, aufsteigenden hin deutlich zwei Phasen unterscheiden:
Eine Kolonisations- oder Assimilationsphase in der die untere an der oberen Schicht orientiert ist und eine
zweite Phase der Abstoßung, der Differenzierung oder Emanzipation, in der die aufsteigende Gruppe spürbar an Stärke und Selbstbewusstsein gewinnt und die obere Gruppe zu einem stärkeren Ansichhalten, einer betonteren Abschließung gedrängt wird und in der sich die Kontraste, die Spannungen in der Gesellschaft verstärken (S. 424).

In der zweiten Phase, in der die gesellschaftliche Stärke der jeweils unteren Gruppe wächst verstärkt sich mit der Rivalität und den Abstoßungstendenzen auch das Selbst- und Eigenbewusstsein beider.
Es besteht die Neigung das Unterscheidende hervor zukehren und zu stabilisieren. Das Selbst- und Eigenbewusstsein beider steigt. Die Kontraste zwischen den Schichten werden größer, die Mauern höher.


Die erste Phase (Kolonisations- oder Assimilationsphase): In der ersten Phase tritt die Neigung von oben nach unten zu kolonisieren, von unten nach oben sich anzugleichen stärker zutage. In der ersten Phase sind viele einzelne Menschen der aufsteigenden Schicht sehr stark abhängig. Sie sind in vieler Hinsicht noch ungeformt und sie werden so beeindruckt, dass sie ihre Affektregulierung nach dem Verhaltenscode der oberen Schicht auszurichten suchen.

Hier stößt manfrau auf eine der merkwürdigsten Erscheinungen im Prozess der Zivilisation: Die Menschen der aufsteigenden Schicht entwickeln ein 'Über-Ich' nach dem Muster der überlegenen und kolonisierenden Oberschicht. Dieses Über-Ich ist genau besehen in vieler Hinsicht recht verschieden von seinem Modell.

ES ist unausgeglichener und dabei zugleich oft genug außerordentlich viel strenger und rigoroser. Bei den meisten Menschen der aufstiegsbegierigen Schichten führt das Bemühen darum zunächst zu ganz spezifischen Verkrümmungen des Bewusstseins und der Haltung. (Aus Orientalländern als 'Leviantinismus' bekannt.

Manfrau begegnet solchen Haltungen in der abendländischen Gesellschaft oft genug als 'Halbbildung', als Anspruch etwas zu sein, was manfrau nicht ist, als Unsicherheit des Verhaltens und des Geschmacks, als 'Verkitschung' nicht nur der Dinge (Möbel, Kleider etc.) sondern auch der Seelen.

Alles das bringt eine soziale Lage zum Ausdruck, die zur Imitation von Modellen einer anderen gesellschaftlich höher rangierenden Gruppe drängt. Sie gelingt nicht; sie bleibt als Imitation fremder Modelle erkennbar. Sie erscheint als sonderbare Falschheit und Unförmigkeit des Betragens. Dahinter steht eine echte und wahre Notlage der sozialen Existenz.

Das Verlangen, dem Druck der von oben kommt, und der Unterlegenheit zu entgehen. Und diese Ausprägung des Über-Ichs von der Oberschicht her lässt bei der aufsteigenden Schicht immer eine ganz spezifische Form von Scham- und Unterlegenheitsgefühlen entstehen. Sie sind sehr verschieden von den Empfindungen unterer Schichten ohne Chancen zu einem individuellen Aufstieg.

Die untere Schicht: Deren Verhalten mag gröber sein, aber es ist geschlossener, einheitlicher, ungebrochener, geformter; sie leben stärker in ihrer eigenen Welt, ohne Anspruch auf ein Prestige mit einem größeren Spielraum für Affektentladungen; sie leben stärker nach eigenen Sitten und Gebräuchen; ihre Unterordnungsgesten und ihre Widerstandsgesten sind klar, relativ unverhüllt gleich ihren Affekten durch bestimmte Formen gebunden. In ihrem Bewusstsein haben sie selbst ihre wohl unterschiedene Stellung (S. 426).

Die 'kleinbürgerliche' nach oben orientierte Schicht: Die Unterlegenheitsgefühle und -gesten der individuell aufsteigenden Menschen dagegen identifizieren sich mit der oberen Schicht.

Die Menschen in dieser Lage erkennen mit einem Teil ihres Bewusstseins die Normen und Verhaltensformen der oberen Schicht als für sich selbst verbindlich an, ohne sich daran halten zu können wie diese. In ihnen steckt ein Widerspruch, eine Spannung, die ihrem Affektleben und ihrem Verhalten seinen besonderen Charakter gibt (S. 427).

Zugleich zeigt sich aber hier, welche Bedeutung die strenge Verhaltensregelung für die Oberschicht hat: Sie ist ein Prestigeinstrument und zugleich ein Herrschaftsmittel.

Es ist nicht wenig bezeichnend für den Aufbau der abendländischen Gesellschaft, dass die Parole ihrer Kolonisationsbewegungen 'Zivilisation' heißt. Für Menschen einer Gesellschaft mit starker Funktionsteilung genügt es nicht zu herrschen, manfrau braucht nicht nur den Boden sondern manfrau braucht auch die Menschen; manfrau wünscht die Einbeziehung der anderen Völker in das arbeitsteilige Geflecht des eigenen, des Oberschichtlandes, sei es als Arbeitskräfte, sei es als Verbraucher; das aber zwingt zu einer gewissen Hebung des Lebensstandardes, wie zu einer Züchtung von Selbstzwang- oder Über-Ich-Apparaturen bei den Unterlegenen nach dem Muster der abendländischen Menschen selbst (S. 427).
Es erfordert wirklich eine Zivilisation der unterworfenen Völker.

So wie es im Abendland ab einem bestimmten Stand der Interdependenz nicht mehr möglich war, Menschen alleine durch Waffen und körperliche Bedrohung zu beherrschen, so wurde es nötig, die Menschen durch die Modellierung ihres Über-Ich zu beherrschen.

Damit stellten sich bei einem Teil der Unterworfenen alle jene Erscheinungen ein, die für eine solche erste Aufstiegsphase charakteristisch sind:
• Individueller Aufstieg,
• Assimilation der Aufsteigenden an die Affektregelung und die Gebotstafeln der Oberschicht,
• teilweise Identifizierung,
• Ausbildung oder Umbildung der Über-Ich-Apparatur nach dem Schema,
• mehr oder weniger geglückte Amalgamierung der vorhandenen Gewohnheiten und Selbstzwänge (S. 428).


Wiederholung:
Beispiel: Um solche Erscheinungen zu beobachten, braucht manfrau nicht in die Weite zu gehen. Eine ganz analoge Phase findet sich in der Aufstiegsbewegung des abendländischen Bürgertums selbst: der höfischen Phase. (Erste Phase= Kolonisation nach unten, Anpassung nach oben).

Hier war es zunächst das höchste Streben vieler einzelner Individuen aus bürgerlichen Spitzenschichten sich zu verhalten und zu leben wie ein Adliger.

Sie erkannten innerlich die Überlegenheit des höfisch-aristokratischen Verhaltens an. Die Unterhaltung des Bürgers im höfischen Kreis über das richtige Sprechen ist ein Beispiel dafür.

Diese höfische Phase des Bürgertums ist markiert durch die bekannte Gewohnheit der Sprechenden und Schreibenden, nach jedem dritten oder vierten deutschen Wort ein französisches einzufügen, wenn sie es nicht überhaupt vorzogen in der französischen Sprache, der höfischen Sprache Europas zu sprechen.

Darüber hat manfrau sich oft lustig gemacht. Wenn aber die gesellschaftliche Stärke des Bürgertums wächst, verliert sich der Spott. (Nun, die zweite Phase = Phase des Abstoßens, der Differenzierung und Emanzipation).
Es treten jene Erscheinungen in den Vordergrund die der zweiten Aufstiegsphase ihren Charakter geben. Bürgerliche Gruppen kehren immer stärker und betonter ein eigenes, spezifisch bürgerliches Selbstbewusstsein hervor; sie setzen immer entschiedener und bewusster eigene Gebots- und Verbotstafeln den höfisch-aristokratischen entgegen.

Sie stellen die Arbeit gegen den aristokratischen Müßiggang, die Natur gegen die Etikette, die Pflege des Wissens gegen die Pflege der Umgangsformen, ganz zu schweigen hier von den besonderen bürgerlichen Forderungen nach einer Kontrolle der zentralen Schlüsselmonopole (Steuer- und Heeresverwaltung).
Sie stellen vor allem die "Tugend" gegen die höfische "Frivolität": Die Regelung der Geschlechterbeziehung, der Zaun, mit dem die sexuelle Sphäre des Triebhaushaltes eingehegt wird ist stets weit stärker als bei der höfisch-aristokratischen Oberschicht und stärker als bei großbürgerlichen Gruppen (S. 429).

Die Länder des Abendlandes-
Was ist gleich, was ist verschieden?

Die große Linie dieser Zivilisationsbewegung ist in allen Ländern des Abendlandes die gleiche und gleich ist auch die Aufbaugesetzlichkeit, die ihr zugrunde liegt. Gleich ist der Ablauf der freien Monopolkämpfe. Siehe obige Gegenüberstellung Bürger-Adel. Alles das tritt auf dieser Stufe im Kampf des Bürgertums gegen die Adelsprivilegien, zunächst in dem 'Öffentlichwerden, in der Verbürgerlichung oder Verstaatlichung der ehemals im Interesse noch kleinerer Kreise verwalteten Steuer- und Gewaltmonopole sehr deutlich zutage. Aber verschieden ist auch das Gepräge des Verhaltens, das Schema der Affektregulierung, der Aufbau des Triebhaushaltes und des 'Über-Ich', die sich in den einzelnen Nationen schließlich durchsetzen (S. 430).


Verschieden sind die Wege die dazu führen.
Anders zB. in England, wo die höfisch-absolutistische Phase verhältnismäßig kurz war, wo frühzeitig Bündnisse und Kontakte zwischen städtisch-bürgerlichen Kreisen und Landadelsschichten zustande kamen, wo sich die Amalgamisierung von Verhaltensformen der Oberschichten und der aufsteigenden Mittelschichten ganz allmählich in vielen Schüben und Gegenschüben vollzog.

Anders in Deutschland, mit der fehlenden Zentralisierung und deren Folge, dem dreißigjährigen Krieg, weit länger als seine Nachbarn ein relativ armes Land, mit einer langen Phase des Absolutismus mit vielen Höfen, mit einer späten kolonialen Expansion.

Die innere Spannung, der Abschluss des Adels gegen das Bürgertum war hier stark und nachhaltig.
Die städtisch-bürgerlichen Schichten waren hier im Mittelalter eine Zeitlang politisch und wirtschaftlich mächtiger, selbständig und selbstbewusster als in irgendeinem anderen Land Europas.
Besonders fühlbar daher der Schock ihres politischen und wirtschaftlichen Niedergangs. Dann waren ihre Träger besonders arm und politisch ohnmächtig. Erst sehr spät kam es zu einer Durchdringung von Bürger- und Adelskreisen.

In dieser ganzen Zeit waren in Deutschland die Schlüsselstellungen des Steuermonopols ebenso wie die Polizei- und Heeresverwaltung Monopole des Adels. So prägte sich im Bürgertum die Gewöhnung an eine starke, äußere Staatsautorität tief ein (S. 431).

In England hingegen spielte das Landheer als Prägeinstrument seiner Bewohner nicht irgendeine größere Rolle.

In Preußen-Deutschland spielte das vom Adel geleitete Landheer, wie auch die Polizeigewalt eine große Rolle und war für das Gepräge seiner Bewohner von größter Bedeutung.

In Deutschland werden die einzelnen von klein an auf in höherem Maße an eine Unterordnung unter andere, an den Befehl von außen gewöhnt.
Die Verwandlung von Fremdzwängen in Selbstzwängen war geringer.
In Deutschland fehlte lange Zeit die Funktion des Zentrums für ein weit ausgesponnenes Interdependenzgeflecht, die Funktion der Oberschicht eines Kolonialreiches.
So blieb die Triebregulierung des Einzelnen hier in besonders hohem Maße auf das Vorhandensein einer starken, äußeren Staatsgewalt abgestimmt.
Es bildete sich ein Über-Ich heraus, das darauf abgestellt war, die spezifische Langsicht, die die Herrschaft und Organisation der ganzen Gesellschaft erforderte, einem abgesonderten und sozial höher rangierenden Kreise zu überlassen.
Das führte zu einer spezifischen Form des bürgerlichen Selbstbewusstseins, zu einer Abwendung von allem, was mit der Verwaltung der Herrschaftsmonopole zu tun hat, und zu einer Vertiefung nach innen, einer besonderen Hochstellung des Geistigen und Kulturellen in der Tafel der Werte.

Anders wiederum in Frankreich: Hier kam es stetiger zur Bildung von höfischen Kreisen, erst courteoisen, dann immer größeren Höfen, schließlich zur Bildung eines großen Königshofes.
Hier kam es frühzeitig zu einer zentral gelenkten, wirtschaftlichen Schutzpolitik, die dem Interesse des Monopolherrn selbst, aber zugleich auch der Entfaltung des Handels diente und zur Entwicklung von begüterten Bürgerschichten führte.
Relativ früh, stellten sich bereits Kontakte zwischen aufsteigenden Bürgern und der immer Geld bedürftigen, höfischen Aristokratie her. Zum Unterschied von den vielen, kleinen und meist wenig begüterten absolutistischen Herrschaften Deutschlands, förderte das zentralisierte und reiche, absolutistische Regime Frankreichs sowohl die allseitige Umformung der Fremdzwänge in Selbstzwänge, wie die Amalgamierung von höfisch-aristokratischen und von bürgerlichen Verhaltensformen.
Die Nivellierung vollendete die Angleichung der gesellschaftlichen Standarde, der Adel verlor seine erblichen Vorrechte und seine Stellung als gesonderte Oberschicht.

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