20070710

Zwang zu Langsicht. Tempo der Zeit. tz-02

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N. E. Th. d. Zivilis. Teil 2

Ausbreitung des Zwangs zur Langsicht und des Selbstzwangs

Der Zivilisationsprozess des Abendlandes ist nach Elias einzigartig, weil sich hier eine Funktionsteilung so hohen Ausmaßes, Gewalt- und Steuermonopole von solcher Stabilität, Interdependenzen und Konkurrenzen über so weite Räume hergestellt haben.

Von der abendländischen Gesellschaft aus hat sich ein Interdependenzgeflecht entwickelt, das nicht nur die Meere weiter umspannt, als irgendein anderes in der Vergangenheit, sondern darüber hinaus auch mächtige Binnenlandsgebiete.

Dem entspricht die Notwendigkeit einer Abstimmung des Verhaltens von Menschen.
Und entsprechend stark ist auch die Selbstbeherrschung, entsprechend der Zwang, die Affektdämpfung und Triebregelung, die das Leben in den Zentren dieses Verflechtungsnetzes notwendig macht.

Eine der Erscheinungen, die diesen Zusammenhang zwischen der Größe und dem inneren Druck des Interdependenzgeflechtes auf der einen und der Seelenlage des Individuums auf der anderen Seite besonders deutlich zeigt, ist das 'Tempo' unserer Zeit.

Dieses 'Tempo' ist nichts anderes, als eine Ausdruck für die Menge der Verflechtungsketten, die sich in jeder einzelnen, gesellschaftlichen Funktion verknoten, und für den Konkurrenzdruck, der aus diesem weiten und dicht bevölkerten Netz heraus jede einzelne Handlung antreibt.

Das Tempo ist ein Ausdruck für die Fülle der Handlungen, die voneinander abhängen, für die Länge und Dichte der Ketten, zu denen sich die einzelnen Handlungen zusammenschließen, wie Teile zu einem Ganzen, und für die Stärke der Wett- oder Ausscheidungskämpfe, die dieses Interdependenzgeflecht in Bewegung halten.

Hier wie dort erfordert die Funktion im Knotenpunkt so vieler Aktionsketten eine genaue Einteilung der Lebenszeit; sie gewöhnt an eine Unterordnung der augenblicklichen Neigungen unter die Notwendigkeiten der weitreichenden Interdependenzen; sie trainiert zu einer Ausschaltung aller Schwankungen im Verhalten und zu einem beständigen Selbstzwang (S. 337, 338).

Das ist der Grund aus dem so viele Menschen mit sich selbst in Kampf geraten, wenn sie pünktlich sein wollen.
Manfrau könnte an der Entwicklung der Zeitinstrumente und des Zeitbewusstseins die Funktionsteilung und Selbstregulierung die dem Einzelnen auferlegt ist ablesen.

Der Trend der Zivilisationsbewegung ist überall der gleiche. Immer drängt die Veränderung zu einer mehr oder weniger automatischen Selbstüberwachung, zur Unterordnung kurzfristiger Regungen unter das Gebot einer gewohnheitsmäßigen Langsicht, zur Ausbildung einer differenzierten und festeren 'Über-Ich'- Apparatur.

Und überall werden zunächst kleinere Spitzenschichten, dann erst breitere Schichten von ihr erfasst.

Es macht einen beträchtlichen Unterschied aus, ob jemand in einer Welt mit dichten Abhängigkeitsbändern gleichsam nur als passives Objekt der Interdependenzen lebt, ob er/sie bloß in Mitleidenschaft gezogen wird von Verflechtungen die die eigene Existenz beeinflussen welche er/sie weder erkennen noch zu verändern vermag oder ob jemand eine Lage und Funktion in der Gesellschaft hat die zu ihrer Bewältigung selbst Langsicht erfordert.
Zunächst sind es in der abendländischen Entwicklung bestimmte Ober- und Mittelschichtfunktionen, die von ihren Inhabern eine solche beständige, aktive Selbstdisziplinierung auf längere Sicht erzwingen. (Z.B. höfische Funktionen in den Herrschaftszentren oder kaufmännische Funktionen in der Handelsverflechtung).

Zu den Besonderheiten des Abendlandes gehört es, dass sich diese Langsicht über breite Schichten ausbreitet.

Auch die Funktionen und die gesellschaftliche Lage der unteren sozialen Schichten erfordert mehr und mehr eine gewisse Langsicht und erzeugt eine Verwandlung und Zurückhaltung die längerfristige Befriedigung auf Kosten der kurzzeitigen versprechen.

Innerhalb jedes Menschengeflechts wirken verschiedene Verkettungen zusammen und es gibt zentrale und dezentrale Sektoren.

Die Funktionen in den zentralen Sektoren (Koordinationsfunktionen) zwingen zu einem beständigeren An-sich-halten. Was der abendländischen Entwicklung ihr besonderes Gepräge gibt, ist die Tatsache, dass in ihrem Verlauf die Abhängigkeit aller von allen gleichmäßiger wird.

In steigendem Maße hängt das höchst differenzierte, höchst arbeitsteilige Getriebe der abendländischen Gesellschaften davon ab, dass auch die unteren, agrarischen und städtischen Schichtungen ihr Verhalten und ihre Tätigkeit aus der Einsicht in langfristigere und fernerliegende Verflechtungen regeln.

Der arbeitsteilige Apparat wird so empfindlich und kompliziert, dass die leitenden, die eigentlich verfügenden Schichten, im Druck der eigenen Ausscheidungskämpfe zu immer größerer Rücksicht auf die breiten Massenschichten genötigt sind.

Die Funktionen erfordern zu ihrer Bewältigung eine größere Langsicht. Sie gewöhnen meist unter einem starken gesellschaftlichen Druck, schrittweise an eine Zurückhaltung der augenblicklichen Affekte, an eine Disziplinierung des Gesamtverhaltens aus einer weiterreichenden Einsicht in die Verflechtungen des Ganzen.

Damit wird auch das Verhalten der ehemaligen Unterschichten in eine Richtung gedrängt, die sich zunächst auf die abendländischen Oberschichten beschränkte

Es wächst ihre gesellschaftliche Stärke, aber auch das Training zur Langsicht.
So breiten sich innerhalb der abendländischen Gesellschaft selbst noch beständig Zivilisationsstrukturen aus; so tendiert zugleich das ganze Abendland, Unterschichten und Oberschichten zusammen, dahin, eine Art von Oberschicht und Zentrum eines Verflechtungsnetzes zu werden, von dem sich Zivilisationsstrukturen über weite Teile des Erdballs hin ausbreiten.

Erst die Einsicht, dass wir selbst noch mitten im Wellengang, mitten in den Krisen einer solchen Zivilisationsbewegung stehen, nicht an deren Ende, sie erst rückt 'Zivilisation' ins rechte Licht.

-o-o-o-

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