20070228

STEIN & BUCH, SÜNDENGELD

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Große Filmstudios produzieren Filme über bekannte Werke der Weltliteratur. Eindringliche Botschaften der Buchautoren können da schon unter den Tisch fallen. Auch Bücher werden gekürzt. So ist es zum Beispiel nicht so einfach eine Ausgabe von Tolstojs Krieg und Frieden mit SEINEM Nachwort zu bekommen. Bei Victor Hugos' Glöckner von Notredame fällt ein ganzes Kapitel in irgendein Wasser. Ja, der Begriff Killerapplikation ist schon passend geschaffen worden und passt recht gut in das Weltbild der Evolution. Eines tötet das Andere um zu überleben. Ergodessen töten? Nein, natürlich nicht, aber mit dem Fortschritt gehen. Oder? Der Übergang zu etwas ?Neuem, ?Anderem, zu mehr undoder weniger? Auf jeden Fall etwas das dieses Blog betrifft: Transition

Literaturauszug: Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame, Paris 1831
Übersetzung: Arthur von Riha, Atrium Verlag, Zürich, Jahreszahl fehlt (altes Buch).
Auszüge aus dem Kapitel: "Dieses wird jenes vernichten."

Abstract: Victor Hugo's Gesichtspunkt, dass das Buch den Bau vernichtete, eine Macht die andere ablösen wollte. Vernichtet Presse die Kirche?

"Seit Beginn aller Kultur bis zum 15. Jh. bildete die Baukunst das große Buch der Menschheit.
Als die Gedächtniskraft der ersten Menschheit zu stark überlastet wurde und der Ballast ihrer Erinnerungen in ein Chaos auszuarten drohte, lief das flüchtig gesprochene Wort Gefahr, verloren zu werden. Da übertrug man es dem sichersten und zugleich dauerhaftesten Material, dem Erdgestein. Man legte die Überlieferung in Baudenkmälern fest.
Die Architektur war in ihren Anfangsgründen ein Alphabet. Man stellte einen Stein lotrecht auf und hatte den ersten Buchstaben. Jeder der Buchstaben war eine Hieroglyphe, und auf jeder Hieroglyphe ruhte eine Gedankengruppe gleich dem Kapitell auf der Säule.
Später erst bildete man das Wort, indem man Stein auf Stein stellte. So entstanden die Granitsilben, die zu Worten vereinigt wurden. Das Wort suchte sich die zugehörigen Verbindungen. Aus diesen wurde der Satz. (Dolmen, Cromlech, Druidentempel, Etrurier in Tumulus, Juden in Galgal. Carnac ist schon eine riesige Formel.
Schließlich baute man ganze Bücher. Die Tradition legte Sinnbilder fest, bis die Überlieferung selbst verschwand. Immer mehr begann die Zahl der Sinnbilder zu wachsen. Das Sinnbild fühlte das Verlangen sich im Gebäude zu enthüllen. Die Baukunst entwickelte sich mit dem menschlichen Gedanken zu einer tausendköpfigen und -armigen Riesin um diese Sinngebilde festzuhalten.
Dädalus bedeutete die Kraft, Orpheus die Intelligenz. Aus Meßkunst und aus Dichtkunst erstanden die Säule als Buchstabe, die Wölbung als Silbe, die Pyramide als Wort. Diese verschmolzen ineinander, senkten, hoben und schichteten sich bis der Zeitgedanke Wunderbücher diktierte, wie da sind: die Pagode zu Eklinga, das Rhamseion in Ägypten und der Tempel Salomons.
Das Wort als Grundgedanke war aber in den Bauten nicht nur in ihrer Anlage, sondern auch in ihrer Form vertreten. Der Tempel Salomons war kein einfacher Bucheinband, sonder das Heilige Buch selbst. An jeder seiner konzentrischen Einfriedungen konnten die Hohenpriester das überlieferte und geoffenbarte Wort lesen.
Der Gedanke wurde nicht bloß in der Gestalt des Bauwerkes, sondern auch in dem dafür gewählten Bauplatz ausgedrückt.
Eine Kulturepoche von sechstausend Jahren reicht von den ältesten Hindupagoden zum Kölner Dom, die in Bauten aufgezeichnete Geschichte der Menschheit überhaupt.
Unter dem belebenden Hauch des Christentums bildete sich aus dem Schutt der abgestorbenen griechisch-römischen Bauten unter den Händen von Barbaren die geheimnisvolle romanische Baukunst, als Symbol des katholischen Glaubens, als Hieroglyphe des päpstlichen Einheitsgedankens. Die ganze damalige Gedankenwelt ist in den romanischen Baudenkmälern ausgedrückt. Deren Düsterheit ist ein Reflex ihrer Zeit. An ihr fühlt man die Gewalt der päpstlichen Einheit, die unumschränkte Herrschsucht und die festgefügte Verschlossenheit Gregors VII. Überall sieht man an ihr den Priester,nie den Menschen.
Aus den Kreuzzügen wurde der arabische Spitzbogen in das Abendland gebracht, ebenso wie für die Völker der Freiheitsgedanke. Das Lehenswesen forderte eine Teilung mit der geistlichen Herrschaft. Dabei rechnete es auf die Hilfe des Volkes, das den Löwenanteil an sich riß. Das Aussehen Europas machte Veränderungen durch und die Baukunst hielt damit gleichen Schritt. Die romanische Baukunst begann zu verfallen, in gleicher Weise wie Roms Hegemonie nach und nach zerstückelt wurde. In die Wappenkunde wurde der Turm eingeführt, der dem Lehenswesen seinen Zauber verlieh. Der Dom war nicht mehr das den Glauben sicher ausdrückende Bauwerk, er entzog sich dem Priester, um der Macht des Künstlers anheimzufallen. Der Priester behielt den Altar und das Kirchenschiff, der Künstler besaß die vier Mauern. Das steinerne Buch gehörte nicht mehr dem Priestertum, nicht mehr der römischen Religion. Die Fassaden der Dome änderten sich. Die Drapierungskunst versteckte den dogmatischen Untergrund immer mehr. Der in Stein gehauene Gedanke war jeder Zensur entwachsen, er glich unserer Pressefreiheit. Vom 13.ten Jh. an, mit Bischof Wilhelm von Paris, im 15. mit Flamel sind Seiten rebellischen Inhaltes vollgeschrieben worden. Nur in dieser Form genoß damals der Gedanke Freiheit, nur in dieser Form konnte er daher ausgedrückt werden.
Da die Maurerkunst das einzige Ventil für den die Geister belastenden Druck war, wurde in ihr der Freiheitsdrang aller Richtungen vereint.
Daher stammt die ungeheure Zahl der Europa bedeckenden Kathedralen.
Alle körperlichen und geistigen Kräfte sind in ihnen zusammengeströmt.
Unter dem Vorwand des Gottesdienstes entfaltete sich die Kunst.
Wer sich damals als Dichter fühlte, der machte keine Verse, sondern er ging hin und wurde Baumeister. Der Baumeister war Dichter und Magister zugleich. Daneben gab es nur eine ärmliche Dichtkunst, die hartnäckig auf einem Vegetieren in Handschriften bestand.
Bis zum Auftreten Gutenbergs war die Baukunst die führende Kunst, die gemeinsame Schrift. Sie war ein Buch aus Granit, begonnen im Orient, fortgeführt von der klassischen Epoche Griechenlands und Roms, beendet vom Ausgang des Mittelalters.

Die verschiedenen Geschichtsepochen enthüllten dadurch ein Gesetz, demzufolge in der Urzeit im Morgenland auf die Kunst der Hindus die der Phönizier folgte. Diese war die üppige Mutter des arabischen Stils. Andrerseits schloß sich im Altertum an die ägyptische Baukunst, der etruskische Stil, dessen Abarten die Zyklopenbauten waren. Ihr folgte die griechische Baukunst, von der die römische befruchtet wurde. In neuerer Zeit trat dann der hieraus entstandene romanische Stil dem gotischen die Herrschaft ab.
Bei Trennung dieser drei Stilreihen, ergibt sich am indisch-ägyptisch-römischen Ast das Symbol der Priesterherrschaft, der Kaste, der Einheit, des Dogmas, der Mythen, mit einem Wort: Gott
Der phönizisch-griechisch-gotische Zweig zeigt bei aller Verschiedenheit die Freiheit, das Volk, den Menschen selbst.
Indien, Ägypten oder Rom, Brahmane, Augur oder Papst, Priester ist Priester und seine Kunst ist von der des Volkes durch einen Abgrund geschieden.
Im phönizischen Stil erkennt man den Kaufherrn, im griechischen den Republikaner, im gotischen den Bürger.
Die aus der Zeit der Priesterherrschaft stammenden Bauwerke zeigen als Haupteigenschaften Unveränderlichkeit, Abscheu vor dem Fortschritt, Festhalten an überlieferten Formen, unerschütterliche oft unbegreifliche Normen bei der Darstellung von Mensch und Natur. Jede darin enthaltene Form oder Mißform hat einen unveränderlichen Sinn, dessen Verletzung ein Sakrileg ist.
So gleicht ihre Kunst der Versteinerung von Religion.
Die vom Volk geschaffenen Kunstwerke stehen dazu im schroffen Gegensatz. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Priesterstil und Volkskunst.
Bis in das 15. Jh. war die Baukunst das Hauptbuch der Menschheit. Bis zu diesem Zeitpunkt ist nicht ein Gedanke von Bedeutung gedacht worden, der nicht seine Ausdrucksform als Baudenkmal gefunden hätte. Es geschah nichts, was nicht im Granit niedergeschrieben worden ist.
Und warum?
Weil jeder Gedanke, sei es in der Religion, sei es in der Philosophie, nach Verewigung drängt.
Der Gedanke läßt sich nicht daran genügen, nur eine Generation zu erregen, sondern strebt danach, allen folgenden Generationen seinen Stempel aufzudrücken.
Erst im 15. Jh. trat eine Änderung ein.
Die Baukunst wurde von ihrem Herrscherthron gestürzt.
Das gedruckte Buch war berufen, das Baudenkmal zu vernichten. Daher ist die Erfindung der Buchdruckerkunst das größte Ereignis der Weltgeschichte gewesen. Sie ist die vollständige und letzte Häutung jener symbolischen Schlange, unter der seit Adams Zeiten der Geist zu verstehen ist.
Der Buchdruck verleiht dem Gedanken einer vorher nicht erreichte Unvergänglichkeit. Er zerstreute die Gedanke in alle vier Winde und macht ihn zu einem Vogelschwarm, der alle Punkte des Himmels und der Erde besetzte.
Seit der Erfindung des Buchdrucks, siecht die Baukunst dahin und geht an Auszehrung zugrunde.
Erst seit dem 16. Jh. wird das Siechtum der Baukunst offenkundig. Schon beginnt sie in kläglicher Klassizität zu erstarren.
Der Genius der Gotik leuchtet wie eine sinkende Sonne mit ihren letzten Strahlen.
Die Baukunst hatte als Gesamtkunst unumschränkt die anderen Künste geknechtet und sie ihren selbstherrlichen Regeln unterworfen.
Die emanzipierten Künste machen sich vom Joch des Baumeisters frei. Aus dem Steinmetz entwickelte sich der Bildhauer, aus dem Holzschnitzer der Maler, aus dem strengen Kanon die freie Musik.
Mit der Befreiung der Künste hielt die des Gedankens gleichen Schritt. Schon hatten die Freigeister des Mittelalters dem katholischen Dogma fühlbare Wunden geschlagen. Das 16. Jh. aber brachte in die Glaubenseinheit den unheilbaren Riß. Ohne Buchdruckerkunst wäre die Reformation ein Schisma gleich ihren Vorgängerinnen geblieben, erst Gutenbergs Kunst machte sie zu der die Grundfesten stürzenden Revolution.
Ohne Gutenberg kein Luther.

Michelangelo, das größte Genie des 16. Jh.s schuf als letzten Gedanken der Verzweiflung den Sankt Peters Dom.
Bald hatte jedes Land seinen St. Peters Dom. Nichtssagende Nachäffungen einer versinkenden Kunst, die vor Altersschwäche kindisch wurde, ehe sie ganz verschied.

Seit Franz II. verschwindet die architektonische Form der Bauwerke immer mehr und mehr, und statt ihrer tritt der geometrische Konstruktionsplan aufdringlicher hervor. Ähnlich wie bei einem abgezehrten Kranken das Knochenskelett. Statt schwungvoller Kunst öde gradlinige Mathematik. Eine anerkennswerte genaue Zusammenstellung von Flächen.
Italienische Pastetenbäckerei, kaltherzige, ultrafade, übergeräumige Höflingskasernen. Von Franz II. bis Ludwig XV. wächst das Elend mit dem Fortschritt der Geometrie. Haut und Knochen, das ist die ganze Kunst. Je mehr die Baukunst niedergeht, desto höher steigt der Buchdruck hinan.
Schon im 17. Jh. ist das gedruckte Buch der souveräne Herrscher.
Voltaire rüstet sich mit Luthers Schwert und zieht zum Sturm gegen das alte Europa aus, dessen Baukunst durch den Buchdruck vernichtet war. Und im 19. Jh. baut der Buchdruck zeitgemäß all das wieder auf, was er in der vorhergehenden Epoche als überlebt in Stücke geschlagen hat.
Die Baukunst aber ist tot, verschieden, ohne Hoffnung auf eine Wiederkehr. Erschlagen durch das Buch, weil sie zu teuer und zu wenig nachhaltig ist.. Das große Denkmal wird nicht mehr gebaut, es wird gedruckt. In der Epoche der Baukunst waren die Dichterwerke eine Seltenheit. Durch Zusammentragen entstanden Sammlungen, wie das Nibelungenlied, die Ilias, die Romanzeros, die Maharattas.
Das Menschengeschlecht hat zwei Bücher, zwei Register, zwei Testamente geschaffen, die Baukunst und den Buchdruck.
Das ganze Menschengeschlecht ist auf dem Baugerüst versammelt. Es ist der neue Babel-Turm der Menschheit."
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Dazu eine kleine Anmerkung zum St. Petersdom:
Nachdem ich gestern diesen obigen Auszug geschrieben habe, habe ich am Abend noch ein bißchen im Werwolf von Willibald Alexis gelesen und dabei eine Stelle gefunden wo ein Bezug von dem Mönch Tetzel zum St. Petersdom hergestellt wird. Ich will hier nicht in der üblichen Weise an der Kirche herum mäkeln ich finde die Geschichte halt aber doch interessant:

"Johannes Tezel, Dominikanerorden, große Ehren in Frankfurt an der Oder, dem Wittenberger Augustinermönch Luther zum Trotz. Kann man sich für jede große Sünde loskaufen, der Brief kostet Gulden und Thaler, je nachdem; ist aber auch für alle kleine Sünden gesorgt, und die Briefe sind gar nicht teuer, und das bringt das meiste ein, denn die Leute stürzen nur so, daß sie ihre Groschen und Pfennige in den Kasten werfen, an dem geschrieben steht:

Sobald der Pfennig im Kasten klingt,
Die Seele aus dem Fegfeuer springt.

Darüber sind die Pfarrer so erbost, weil Knechte und Mägde wollen gar nicht mehr bei ihrem Priester beichten; mit ein paar Pfennigen können sie beim Dominikaner alles abthun, und der zieht dann weiter, und die Beichtstühle stehen weit und breit leer.

Und darum (sagte die Burgfrau) ist der Augustinermönch (Luther) auch in Feuer und Flamm! 's gönnt keiner dem anderen, und keiner ist um ein Haar besser als der andere.
Tezel verkauft den Ablaß für den Papst; nämlich eigentlich für den Erzbischof Albrecht von Mainz, unseres allergnädigsten Kurfürsten Bruder, von dem er die Einnahmen gepachtet hat, der aber teilt den Erlös mit dem Papst zu Rom, und dafür wird die neue große Kirche in Rom gebaut. Also hat sich der Augustinermönch unterstanden, gegen den allerheiligsten Papst selbst zu reden, da das Geld in dessen Säckel fließt; aber sagen sie von der anderen Seite, weil das Geld so aus dem Land geht, werden die großen Herren und Fürsten, die's im Grund nicht gern sehen, wohl' eine Aug' zudrücken, und der Wittenberger wird wohl noch mit 'nem blauen Aug' davonkommen, daß er das Maul so weit aufgerissen. Daher erklären sie's auch, daß der allergnädigste Kurfürst den hochwürdigsten Bischof zu ihm geschickt. Der soll im zureden, daß er widerruft, und dann bleibt alles beim alten."
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Einige geschichtliche Daten:

Peterskirche, San Pietro in Vaticano. Beschluß Julius II. ca. 1502, Grundsteinlegung am 18.4. 1506, ab 1546 Michelangelo Bauleiter, Schlußweihe am 18. 11. 1626

Johannes Tetzel, geb. Pirma ca. 1465, gest. Leipzig 11.8.1519
ab 1489 Dominikaner, 1504-1510 Ablaßprediger in deutschen Landen. 1509 Inquisitor für Polen, 1517 Generalsubkommissar des Mainzer Erzbischofs Albrecht II., Markgraf von Brandenburg, auch in der Kirchenprovinz Magdeburg tätig.
Meyers Enz.: Reue und Buße traten hinter dem Gelderlös zurück.
Ab 1518 lebte er im Leipziger Dominikanerkloster.

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